Kapelle Elisabeth Bona in Wallenwil

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Die Kapelle liegt erhöht am Fusse eines Hügels, am Rande der rund 700 Einwohner zählenden Ortschaft Wallenwil, die heute mit den Dörfern Hurnen und Eschlikon die Gemeinde Eschlikon bildet. Die Kapelle, geweiht der Elisabeth Bona, trägt die Ortsnummerierung 1, ein Hinweis auf die zentrale Bedeutung für die Ortschaft. Sie liegt wenige Schritte von der Gemeindeverwaltung entfernt. Hier könnte der Ortsmittelpunkt sein, wären die Wohnhäuser nicht anderswohin gewachsen.

Wallenwil ist ein alter Flecken in der Hügellandschaft des Thurgau, erstmals 827 als „Wolahwilare“ urkundlich erwähnt. Die exotisch anmutende Bezeichnung heisst im Althochdeutschen „beim Gehöft der Welschen“. Historiker nehmen an, dass damit ein Restbestandteil gallo-romanischer Bevölkerung gemeint ist, der hier ansässig war. Von besonderer Bedeutung für unsere Geschichte ist aber das 18. Jahrhundert. Wallenwil gehörte damals zum Kloster St. Gallen, das es an das Heilig-Geist-Spital Wil verliehen hatte, welches bis 1798 über einen Gerichtsvogt die niedere Gerichtsbarkeit ausübte. Kirchenrechtlich gehörte Wallenwil zur Pfarre Sirnach im Bistum Konstanz. Besucht man heute die Ortschaft, so zeichnet diese eine adrette Ansammlung von langweiligen Einfamilienhäuser aus, angenehm durchbrochen von alten Holzhäusern und Gehöften. Ans 18. Jahrhundert erinnern nur mehr zwei Gebäude. Da ist zunächst die alte Mosterei („Mosti Wallenwil“), die von 1767 bis 1860 als Schulhaus diente, 1976/77 neu renoviert wurde und heute als Veranstaltungsraum dient, wenn dies nicht gerade die Pandemie unterbindet. Schräg gegenüber und leicht erhöht liegt die Kapelle St. Elisabetha Bona. Sie überzeugt uns durch ihre Renovierung im Jahr 2011, und hat wohl nur mehr wenig mit dem weissgestrichenen Schuppen zu tun, an dem sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts der Streit zwischen den Gläubigen entzündete.

Wallenwil musste im 18. Jahrhundert wohl viel weniger EinwohnerInnen gehabt haben als heute, bei der ersten mir zugänglichen Volkszählung aus dem Jahr 1832 hatte der Ort 231 Einwohner. Damals, in den 70er Jahren des 18. Jahrhunderts lebte dort ein Joseph Büchi, ein Bauer, der aus einem besonderen Holz geschnitzt zu sein scheint. Ein eigensinniger Mensch, ein Querulant, ein Sendungsbewusster. Bockig durch und durch. Er erhob den Eigensinn zur anerkannten Tugend.

Wallenwil gehörte damals kirchenrechtlich zu Sirnach, der Fussweg zur katholischen Pfarrkirche im Nachbarort mag als lang und beschwerlich gegolten haben. Der Fussweg zur Pfarrkirche dauerte rund eine Stunde, etwas zu lang um täglich seine christlichen Pflichten nachgehen zu können. Von den Alten, Gebrechlichen und Kranken wollen wir gar nicht sprechen. Fest in der kollektiven Erinnerung der damaligen Einwohner von Wallenwil schien aber der Umstand verankert gewesen sein, dass sich in Wallenwil vor der Reformation eine Kapelle befunden hatte, an der die Vorfahren für den Schutz durch den Heiligen Jakobus gebetet hatten. Diese alte Kapelle aber war den Aufgeregtheiten und der Bilderfeindlichkeit der Reformationszeit zum Opfer gefallen und hinterliess im Bewusstsein der katholischen Bevölkerung eine schmerzliche Leerstelle. Dann, als ein haltbarer Frieden zwischen Kathoden Katholen und Reformierten (Landfrieden von 1712) ausgerufen wurde, arrangierte sich auch Sirnach mit dem neuen Glaubensfrieden und regelte das Zusammenleben zwischen katholischer Kirche und Reformierten neu. Es kehrte wieder eine gewisse religiöse Ordnung in die nunmehr paritätischen Gemeinde ein.

Allein, die alte Kapelle in Wallenwil wurde nicht wieder errichtet, wohl aber stark erinnert. Die Einwohner des Weilers begannen zu improvisieren. An einem Speicher in Wallenwil war mittlerweile ein Muttergottesbild mit Kreuz angebracht, der Platz wurde von seinen Einwohner regelmässig zum Gebet genutzt. Dem oben erwähnten Joseph Büchi, dem dieser Speicher gehörte, war das aber noch lange nicht genug. Er wandte sich 1752 an den Sirnacher Pfarrer Jakobus Schlagg mit dem Ansinnen, wieder eine Kapelle am alten Platz bauen zu wollen. Dem Ansinnen wurde nicht entsprochen. Pfarrer Schlagg untersagte als zuständige Kirchenbehörde den Bau. Der Grund für die Ablehnung bleibt in den mir verfügbaren Quellen unklar: waren es organisatorische oder finanzielle Gründe, Konkurrenzdenken, Kompetenzprobleme, geistliche Arroganz? Was nicht ist, kann wohl nicht sein. Jedenfalls begann damals das sich über Jahre hinziehende Tauziehen zwischen dem bockigen Wallenwiler Joseph Büchi und dem standhaften Sirnacher Pfarrer Jakobus Schagg. Büchi behalf sich letzten Endes damit, die oben erwähnte Scheune in- und auswändig weiss zu streichen und ihr ein Türmchen mit einer Glocke aufzusetzen. In die Scheune stellte er ein in Schwaben gekauftes Bild der Elisabeth Bona, der im Bistum hochverehrten Leidensfrau aus dem Kloster Reute in Waldsee. Die provisorische Kapelle war geschaffen, auch ohne Unterstützung der Amtskirche. Was aber wundert, war dass nicht wieder Maria als Schutzherrin auftrat, sondern eine Mystikerin aus Oberschwaben.

Seit der ersten Öffnung des Grabes von der Elisabeth Bona im Kloster von Reute im Jahr 1623 war es in Schwaben und dem angrenzenden Thurgau zu einer intensiven Verehrung der Ordensfrau gekommen. Der Bischof von Konstanz betrieb mit Verve ihre Seligsprechung zu Rom, wohl aus Geldmangel versandete aber dieser erste Versuch, Rom zur Zustimmung zu bewegen. Erst im Jahr 1756 wurde vom Abt von Waldsee und dem Bischof von Konstanz ihre Seligsprechung erneut betrieben, was im Jahr 1766 mit einer gewaltigen propagandistischen und finanziellen Anstrengung des gesamten Bistums gelang. So wurden zahlreiche Sammlungen durchgeführt, durch die die sehr hohen Prozesskosten der Seligsprechung bedeckt werden sollten. Dies trug ohne Zweifel sehr stark zum Bekanntwerden der Elisabeth Bona auch im Raum um Sirnach und Wallenwil bei.

Doch auch die Bekanntheit der neuen Schutzherrin für die provisorische Kapelle in Wallenwil mochte im Streit um deren Errichtung nicht zu helfen. Sowohl der Bürgermeister als auch der Pfarrer von Sirnach stellten sich gegen die weissgetünchte provisorische Kapelle des Joseph Büchi. Die Abhaltung von Gottesdiensten wird verweigert. Joseph Büchi muss mit seinem Bild auf eine gerodete Fläche in den Wald (Hochrüthi) ausweichen, wo er das Bild der Mystikerin Elisabeth gemeinsam mit einem Kreuz aufstellte. Der Zustrom von Gläubigen gab ihm recht. Aus Nah und Fern strebten Menschen zur Verehrung der Elisabetha Bona nach Hochrüthi und mit dem Zustrom begannen auch die Gerüchte, dass dort Wunder vollbracht würden. Fama crescit eundo! Dagegen kommen auch Pfarrer der Amtskirche nicht an. Ordnung muss wieder einkehren in der katholischen Pfarrgemeinde!

Wieder griff der Pfarrer Jakobus Schagg ins Geschehen ein. Er liess das Bild samt den mittlerweile gemachten Weihegeschenken zu sich in die Pfarre nach Sirnach bringen, sehr zum Missfallen des Joseph Büchi und seiner UnterstützerInnen. Die Sache schien kurzfristig kirchenpolitisch aus dem Ruder zu Laufen: Unbotmässigkeiten gegenüber der Amtskirche waren weiterhin zu befürchten, eine Beendigung des Konflikts tat not. Sirnach gab klein bei. Schliesslich erteilt der Pfarrer die Einwilligung zur Erbauung einer Kapelle zu Ehren der Unbefleckten Empfängnis Marias und der Ordensfrau Elisabetha Bona. Nachdem auch noch die Einwilligung des bischöflichen Generalvikars von Konstanz eingeholt worden war, legte Pfarrer Schagg 1775 den Grundstein der Kapelle in Wallenwil, neun Jahre nach Seligsprechung der Elisabetha. Das Kirchenvolk schien befriedet zu sein, die Bockigkeit des Joseph Büchis hatte sich offenbar gelohnt. In rund 4 Monaten war der Bau unter intensiver Mitarbeit und Frondienst der Bevölkerung geschafft. Wallenwil wird von nun an zum Wallfahrtsort, die Kapelle wird der Elisabeth Bona geweiht.

Doch noch waren die Dinge unklar. Mittlerweile war es aber auch zu Begehrlichkeiten in Wil gekommen. Die Wiler verfolgten Pläne, die alleinige Verwaltung der Kapelle zu übernehmen und eine Kaplanei zu errichten. Der Bischof von Konstanz ging auf diese Begehrlichkeiten nicht ein. Er unterstellt Wallenwil dem Pfarrer von Sirnach. Joseph Büchi hatte letztendlich Recht behalten. Die Existenz der Kapelle spricht sich in weiterer Folge immer mehr herum.

Die Menschen gehen, ihre Werke bleiben (manchmal). 1864 schreibt der Franziskanermönch Laurenz Burgeler in seinem Buch „Wallfahrtsorte der katholischen Schweiz“: „Das auf dem Altar unter Glas aufgestellte Bild der Guten (Elisa)Beth soll, wie die Überlieferung lautet, im Walde bei Wallenwil gefunden worden sein. Die Kapelle ist ein von einzelnen Hilfsbedürftigen gar oft besuchter, kleiner Wallfahrtsort. Während des Jahres wird daselbst oftmals von den Geistlichen von Sirnach, zu deren Pfarrei das Gotteshaus gehört, Messe gelesen; auch kommen zuweilen z.B. von Bichlsee usw. Bittgänge dahin. Am Feste der Seligen wird hier Amt und Predigt gehalten.“ (Burgeler, S. 245).

Die Sirnacher schienen sich also im Laufe der Zeit mit der „konkurrierenden“ Kapelle ausgesöhnt haben und sie friedlich und freudig in ihre Heiligenverehrung und ihrer Gier nach Wundern integriert zu haben. Noch bis in die 1960er Jahre führten die Sirnacher Katholiken die Fronleichnams-Prozession zur Elisabeth Bona Kapelle durch. Die Wallenwiler, die bis heute in einer sogenannten Kapellengenossenschaft organisiert sind, haben im Laufe der Jahrhunderte immer wieder für die Kapelle Sorge getragen. Sie hat eine Reihe von Renovierungen hinter sich: in den Jahren 1862, 1930, 1981 und 2011.

Heute erhebt sich die Kapelle als properes Bauwerk über den Dächer der Eigenheime der ansässigen Bevölkerung. Es ist still geworden um Kirche und Glauben und die Elisabeth Bona Kapelle. Auch der Ärger mit Sirnach ist längst (vergessene?) Geschichte. Denn seit 1997 gehört der Ort zur Gemeinde Eschlikon.

Recherche:

  • Geschichte des Ortes Eschlikon in Karten. Historischer Verein Eschlikon, 2017
  • Die Kapelle in Wallenwil. In: Thurgovia Sacra. Geschichte der katholischen kirchlichen Stiftungen des Kantons Thurgau. Hrsg. von Karl Kuhn, 1869. S. 292 f.
  • Die St. Elisabethenkapelle in Wallenwil. In: Laurenz Burgeler. Die Wallfahrtsorte der katholischen Schweiz, 1864. S. 244 f.