
[Pegasus Projekt: Pegasi Gamma – Algenib]
Unten, am Waldrand macht ein Hinweisschild neugierig. Halb verwittert und von Efeu umrankt lese ich auf dem Holzschild: „Teufelsofenstrasse“. Dem will ich auf den Grund gehen. Eine langwierige Internet Recherche fügt sich letzten Endes zu einer komplexen Geschichte über die Gefährdungen von Waldgängern zusammen. Von ihrem gestörten Verhältnis zum Dämon soll erzählt werden.
Die Teufelsofenstrasse führt zu einem Tobel, das den Haselberg an dessen Südseite tief einschneidet. Zwei Sturzbäche, deren Wasser sich unweit des Gehöfts Kienberg am Plateau des Haselberges sammeln, schneiden sich tief in das weiche Gestein des Abbruchs ein. Im hinteren Talgrund unterhalb der Einschnitte sammelt sich das Wasser wie in einem Trichter, über mehrere kleine Wasserfälle stürzt es hinab und legt zwei steile Schluchten frei, die von instabilen Steilwänden umgeben sind. Umgestürzte und abgerutschte Bäume, Wurzeln, Gehölz und Steine versperren den ungehinderten Zugang. Es ist gefährlich im Tobel, alles ist in Bewegung und bewegt sich auf einen zu. Eine Verletzung scheint vorprogrammiert zu sein. Der Boden ist tief, instabil und rutschig. Harmlos erscheint er, doch unter dem Laub lauert die Gefahr. Das Nachtvolk sucht gerne diese Orte auf.
Nagelfluh wird das weiche Gestein genannt, das mit instabilen Tonen und Sanden angereichert ist und welcher durch die tiefen Runsen sichtbar werden. Das Tobel! Der Thurgau ist reich an diesen geheimnisvollen Landschaftsformen. Versteckt, dunkel und mysteriös liegen sie „im Keller“ des Mittelgebirges, unbeirrt von der Versiegelung der Landschaft und Betriebsamkeit der Menschen. Als Schluchten mit Eigensinn könnte man sie bezeichnen, als archetypischen Erlebnisraum und mystischen Ort. Der Teufelsofen am Haselberg ist einer dieser Tobel.
Dazu passt sein Name, der anzeigt, dass es sich bei diesem Ort um einen unheimlichen, angsterregenden und gefährlichen Platz handelt, den man besser nicht aufsuchen wolle. Aber schon hier beginnt die Mutmassung. Das Schweizer Ortsnamenverzeichnis erklärt, das das Teufelsrohr aus zwei Runsen (tiefen eingeschnittenen Tälern) mit Wasserfällen bestehe. In diesen Runsen unterhalte der Teufel ein Feuer. Diese Eklärung erscheint auf den ersten Blick paradox. Wieso Feuer, wenn es doch in der Schlucht mehr als genug Wasser und Feuchtigkeit gäbe, um jedes Feuer sofort zum Erlöschen zu bringen? Ein weiteres Wörterbuch bringt die Erklärung: Weil es früher nur einen Ofen in der Wohnstube zum Heizen gab, stehe die Bezeichnung auch für den Wohnraum (die Stube) selbst und wird metaphorisch auf Höhlen und Klüfte als Aufenthaltsort übertragen. Ein Aufenthaltsort des Teufels und des Nachtvolks ist diese Schlucht und auch all jener, die rastlos und suspekt den Wald durchstreifen.
Aus einer Sage über den Teufelsofen lernen wir aber auch, dass wir auch mit anderen Vaganten an diesem Ort zu rechnen haben, nicht nur mit Waldgängern wie man selbst einer ist. Ein Kräutermännchenn soll einst in Kienberg unterwegs gewesen sein und sich in einen Streit mit dem Teufel eingelassen haben. Dieser habe das Männchen letztendlich in das sich öffnende Höllenloch hinabgestossen und bis heute höre man das Männchen dort noch jammern. Auch den Teufel könne man noch vernehmen, wenn er unruhig seine Hörner an den Nagelfluhfelsen reibe. Tatsächlich legen die Geräusche in der Schlucht eine solche Interpretation nahe: das Ächzen der Bäume, das Brechen von Holz, die rutschenden Gesteinsmassen, das dumpfe Rauschen der Wassermassen. Man ist auf sich allein in unwegsamem Terrain und leicht stellt sich angesichts der bedrohlichen Umgebung Unruhe ein.
Nehmen wir aber die Sage beim Wort, stellt sich eine Fülle weiteren Fragen: Was können Teufel und Kräutermännlein gemeinsam haben, dass sie so in Streit geraten, dass dieser so gewaltsam in einem Höllensturz endet? Eine detaillierte Schilderung der sagenumwobenen Begebenheit liegt uns nicht vor, deshalb sind wir auf Mutmassungen angewiesen. Könnte es etwa gewesen sein, dass sich der Streit zwischen Teufel und Kräutermännlein deshalb entwickelt habe, weil es Meinungsverschiedenheiten in Bezug auf eine zwischen ihnen geschlossene Abmachung gekommen war? Wer Teufelssagen kennt, weiss, dass dies ein ständiges Motiv in der Auseinandersetzung zwischen Teufel und Menschen ist.
Die Geschichten um den Pakt mit dem Teufel sind Legion. Joseph Anton Stranitzky etwa beschreibt in seinen „Lustigen Reisebeschreibungen“ aus dem Jahr 1886 betrügerische Geschäfte, die Teufel und Waldmännlein mit dem ahnungslosen Volk getrieben hätten. Beide tun sich zusammen, um das beste ihrer Eigenschaften zum Glänzen zu bringen. Der Teufel nimmt ein ahnungsloses Opfer in Besitz, bringt ihm Krankheit und Unheil und nimmt von ihm Besitz, das Kräutermännli (auch weithin Wurzelgraber genannt) tritt sodann auf den Plan und exorziert Unheil, Krankheit und Teufel aus dem Opfer, um dafür belohnt zu werden. Der Teufel verlässt sogleich den Besessenen. Das solcherart erschlichene Einkommen wird zwischen beiden geteilt, bis es, verursacht durch die Geldgier des Kräutermännchens, zum Konflikt kommt. Der Teufel fühlt sich übervorteilt. Daraufhin weigert sich der Teufel aus einem der Opfer wieder „auszufahren“. Er manipuliert das Opfer auch, sich mit Vorwürfen gegen das Kräutermännchen zu wenden. Diesem wird Zauberei und Hexerei vorgeworfen und der Ruf des vermeintlichen Heilers zerrüttet. Anders als in der Sage vom Teufelsofen gewinnt diesen Streit jedoch das Wurzelmännchen, welches als Gegenwehr dem Teufel damit droht, dessen Eheweib zu rufen, welche ihm eine Tracht Prügel verpassen würde.
Überhaupt scheint der Teufel in seiner Begegnung mit den Menschen regelmässig den Kürzeren zu ziehen, vor allem in seiner Auseinandersetzung mit jenen zwielichtigen Gestalten, die sich wie er im Wald herumtreiben und dort Kräuter zu sammeln, Wurzeln auszugraben und bei Gelegenheit auch das eine oder andere Stück Wild zu wildern. Peter Rosegger etwa, der aus Österreich stammende Heimatdichter stille Apologet des Nationalsozialismus beschreibt in seiner Schrift „Die Älpler in ihren Wald und Dorftypen“ (1888) auch den Typus des Wurzelgrabers. Dieser erzählt uns, wie er mit dem Teufel bekannt geworden ist (272):
„Nein, zum Lachen war das nicht. Als er sich von hinten an mich heranmachte mit seinen zwei Gamshörnern und seiner Radiwurzen hinten, bin ich noch unerschütterlich geblieben. Du hast ja deinen Stutzen mit der geweihten Johanniskugel bei dir, und damit jagst du 999 solcher Hörndlbuben zum Teufel! Als er auf einmal so neben mir steht und mich wie von Sinnen anglotzt, schreie ich: „Was willst Du denn von mir?“ „Ei gar nichts“, antwortet er, „einen vergrabenen Schatz wollte ich dir zeigen.“ „Ich brauch deinen Schatz nicht“, entgegnete ich ihm und lege das Gewehr an. Und weil ich so in Rage bin, stecke ich ihm den Gewehrlauf ins breite Maul und schreie: „Probier mal von dieser Tabakspfeife!“. Dann hab ich abgedrückt. Und was tut der gute Herr Teufel? Ganz langsam spuckt er die Kugel aus und sagt ganz ruhig: „Du hast einen sakrisch starken Tabak, Wurzelbraber, der greift einem mit der Zeit ein wenig die Lunge an!“ Kreuz und Handelsbank! Da beginne ich mich zu fürchten. Wenn ich jetzt nicht den Heiligen Nagel vom Christuskreuz nicht bei mir hab, bin ich dahin. Als aber der Schwarze den Nagel sieht, mag er sich wohl gedacht haben: „Schau der Wurzelgraber ist schlauer als ich. Ich kann wohl gegen ihn nichts ausrichten. Daraufhin ist er abgefahren.“ Es nimmt also nicht Wunder, dass der Wurzelgraber den Teufel so fürchtet.
„Der Teufel, ja der Teufel ist immer das Schreckbild solcher armer Seelen. Die (Wurzelgraber) leben in der Wildnis, so wie das Tier, sie begehen Diebstahl an Wald und Wild, sie verhöhnen die guten Sitten und das Gesetz, aber sie beten unablässig um übernatürliche Kraft und Macht, sie rufen den Teufel an und beschwören ihn ängstlich, dass er sie nicht hole.“
Die hier an Beispielen beschriebene enge Bindung von Teufel und Wurzelgraber drückt die Ambivalenz aus, mit der Kräuterfrauen und -männern in Volkserzählungen begegnet wird. Denn wohl sind sie Kräuterkundige und können mit den von ihnen gesammelten Kräutern und Wurzeln den Kranken Linderung verschaffen, gleichzeitig stehen sie unter dem Generalverdacht, mitunter das Übel mitzubringen und Dritten Schaden zu bringen. Als zwielichtige Wesen des Waldes, die am Rande der Gesellschaft leben, sind die Wurzelgraber dem Teufel ähnlich. Beide kann man zwar verspotten, aber fürchten wird man sie trotzdem immer müssen. Mit ihnen einen Handel einzugehen, ist gefährlich. Während der Teufelspakt zugunsten des Schwarzen angelegt ist, droht vom Kräutermännli mitunter giftiges Kraut und schädlicher Zauber.
Krachend landen auch wir in der nassen Hölle des Tobels.
Besorgt kehre ich wir wieder an den Ausgangspunkt meiner Expedition zurück, mühsam über Bäume, Wurzeln und Felsen kletternd. Ich bin froh, dass mir nichts Ernstes zugestossen ist. Doch der Umgang mit dem Teufel ist ein ständiger Kampf. Als Geschenk getarnt hat mir das (un)gleiche Pärchen im Teufelsloch eine ihrer Irrwurzen hinterlassen. Ich habe sie auf meinen Rucksack gebunden. Möge sich der neugierige Wanderer doch im verhexten Gelände verirren!