
[Pegasus Projekt: Pegasi Gamma – Algenib]
Im letzen Posting zum Thema Geruchsverirrung habe ich letzten Endes klein beigegeben und von der Idee eines verbindlichen Mostindien-Geruchs Abstand genommen. Stattdessen wollte ich peux a peux den Gerüchen einzelner Fundstücke auf meiner Reise näherkommen. Und es begab sich, dass ich dabei auf eine Mistel stiess.
Warum den Geruch einer Mistel näher beschreiben wollen? Nun ich bin ja einer, der gerne die verschiedenen Kräuter und Pflanzen räuchert. Ob das nun aus rituellen Zwecken geschieht oder einfach, um mich am Geruch der verschiedenen Ingredienzen zu erfreuen, das sei dahingestellt. Die Gruppe der Verkäufer von Räucherwaren im Internet ist wahrlich gross, zumindest im deutschsprachigen Raum, den ich ein wenig recherchiert habe. Auch die Buchproduktion zu diesem Thema ist mehr als reichhaltig. Wenige Menschen sammeln und trocknen ihre Räucherwaren selbst und greifen auf den Online-Handel zurück. Oft wird diese Ware aber von Grosshändlern gekauft. Pflückzertifikate, die den Zeitpunkt und den Ort der Ernte festhalten, gibt es fast nie. Nicht über die esoterischen oder aromatherapeutischen Bezüge, über deren Sinn und Unsinn möchte ich an dieser Stelle diskutieren, sondern über die Angaben ihrer Geruchskomponenten. Denn Skepsis ist immer dann geboten, wenn man auf Verkaufstexte stösst. Ist da wirklich drin, was drauf steht? Wie zwischen Information und Werbung unterscheiden? Und gerade beim Geruch scheiden sich ja oft die Geister. Was dem Einen angenehm erscheint, ist dem Anderen ein Greuel.
Wir wollen im Folgenden untersuchen, ob die Angaben der Verkäufer a) sinnvoll, b) stimmig und c) seriös sind; ein Konsumententest mit der Nase soll es werden. Ich habe dafür eine kleine Auflistung der Anbieter angefertigt, die Mistel – Räucherware verkaufen und ihren Geruch beschreiben. K.A. ist dann in der Liste angeführt, wenn die Anbieter wider Erwarten keine Geruchsangaben liefern. Angeführt habe ich auch noch die jeweils gewählte Bezeichnung der „Mistel“, denn es gibt ja verschiedene Sorten davon. Die Angaben wurden am 1. März 2021 zuletzt recherchiert.
Anbieter | Bezeichnung | Geruch |
Celtic Garden | Mistel | Leicht süsslich, krautig |
Labdanum | Mistel, Viscum Album | Sehr krautig, unscheinbar |
Räucherguru | Mistel, Viscum Album | Angenehm, süsslich-krautig |
Räucherwerk Ratgeber | Viscum Album oder Eichenmistel? | Krautig-süss |
Räucherzeit | Mistel vom Apfelbaum | K.A. |
Mondfee | Mistel, Viscum Album aus Ungarn | Kein starker Eigenduft, frisch aromatisch, später angenehm würzig |
Spirit Räucherwerk | Bio Mistel, Viscum Album | K.A. |
Räucherwerk | Mistel | Krautig-süsslich |
Ergebnis des Vergleichs:
(1) Es fällt zunächst auf, dass in der überwiegenden Anzahl der Fälle, das Wort „krautig“ als Geruchskategorie verwendet wird. Dabei erhebt sich die Frage, ob die Wahl der Bezeichnung „krautig“ zur Charakterisierung wirklich sinnvoll ist, wenn sehr viele der Räucherwaren zu den Kräutern (siehe Definition) gehören. Natürlich riecht die Mistel krautig, ebenso wie viele anderen Kräuter. Das ist ungefähr so, als ob man den Geruch einer Hyazinthe als „blumig“ bezeichnete.
(2) Die Wahl der Empfindungswortes „angenehm“ in zwei Fällen sehe ich entweder dem sehr persönlichen Empfinden der Tester/Innen oder einem Euphemismus (Verkaufsargument) des Anbieters geschuldet. Aufschluss über die zu erwartende konkrete Geruchsempfindung gibt sie nicht.
(3) Die Wörter/Wortgruppen „kein starker Eigenduft“ „sehr“ und „unscheinbar“ geben offenbar die Stärke des Geruches an, nicht dessen Qualität.
(4) Keine Angaben (K.A.) zum Geruch einer Räucherware zu geben, erscheint mir paradox, insbesondere wenn man bedenkt, dass Räucherwaren zum Riechen bestimmt sind.
(5) Es ist in den meisten Fällen nicht erschliessbar, ob sich die Angaben der Anbieter auf die frische, die getrocknete oder die verräucherte Mistel beziehen.
Am Ende noch ein paar generelle Bemerkungen, die nicht direkt mit den Geruchsangaben zusammenhängen, sich aber geradezu aufdrängen. Eine genaue Bezeichnung der Mistelart wäre für den Konsumenten hilfreich (Viscum Album/Laubholz-Mistel, Viscum laxum/Nadelbaum-Mistel, Loranthus europaeus/Eichen-Mistel). Zumindest könnte eine bewusste oder unbewusste Irreführung der Konsumenten vermieden werden. Ich habe den Verdacht, dass durch diese Unklarheit unterstellt werden soll, dass es sich bei der angebotenen Ware um eine Eichen-Mistel handle. Sie ist aber ausserordentlich selten! Der Eichenmistel wird in der keltischen Tradition grosse Verehrung entgegengebracht und sie hat deshalb auch einen höheren „Verkaufswert“ als andere Misteln. Hingegen wird der Apfelmistel ein fragwürdiger Heilwert bei Karzinomen nachgesagt, was ihre Bedeutung für eine bestimmte Käufergruppe entsprechend steigert. Was hingegen eine Biomistel sein soll, weiss ich nicht, auch nicht welche Kriterien einer derartigen Beurteilung zugrundeliegen.
Mein Testergebnis:
Kann man also hinsichtlich des Geruchs präziser formulieren? Ich habe für den Selbsttest das Instrumentarium von St. Croix verwendet, um zu sehen, ob man die Geruchsnoten tatsächlich mehr präzisieren kann. Zudem habe ich den Geruchstest natürlich mehrere Male durchgeführt und zwar beim Zerkleinern der Mistel, im getrockneten Zustand und bei der Verwendung als Räucherwerk. Ich kam (ohne eine „professionelle Nase“ zu sein) zu einem, viel präziseren Ergebnis als die oben genannten Anbieter, sowohl was die Intensität als auch die Qualität des Geruches betrifft.
Meine Geruchsprobe war eine Tannenmistel (Viscum laxum). Sie roch stark nach Gras und stark süsslich und ein wenig nach Pinie und Pilz. Stark harzig roch sie beim Zerschneiden der Stengel und dickeren Blätter, aus denen eine weisse, klebrige Substanz austrat. Zudem verklebte mein Messer rasch. Das ist ein Hinweis auf die früher übliche Verwendung der weissen Blüte als Grundbestandteil von Vogelleim. Der starke Piniengeruch verschwand nach der Trocknung und blieb nur mehr als schwache Geruchsnote übrig.
Der Selbstversuch und die Zusammenstellung der unterschiedlichen Anbieter liess mich mit einem seltsamen Gefühl zurück. Vieles, was an Räucherwaren im Internet angeboten wird, entzieht sich klaren Kategorien und verbindlichen Aussagen. Es wäre notwendig, hier einmal nachprüfbare Standards zu schaffen und auch anzulegen. Ein Geruchsregister der wichtigsten Räucherwaren könnte entstehen. Aber das ist ein völlig anderes Projekt.
Sehr lesenswerter Beitrag, quasi bewusstseinserweiternd. Ich lache ja immer über die Beschreibungen von Weinaromen der Önologen, wäre aber selbst nicht in der Lage, nur schon den Duft eines Weines etwas präziser zu beschreiben. Neulich wollte ich über den Duft eines Parfüm-Müsterchens schreiben, das ich in der Stadt bekommen hatte. Ich fand keine passenden Adjektive. Jetzt: Ich würde sagen: vielleicht lilac, aber es hat auch noch eine fruchtige und eine chemische Note drin.
LikeLike
Einfach mal ausprobieren entlang irgend eines Geruchsschemas. Nichts vorher essen und trinken und an einem geruchsneutralen Ort. Man wird staunen, unter welch frappantem Geruchsanalphabetismus man leidet.
LikeLike