[Pegasus Projekt: Pegasi Gamma – Algenib]
Als wunderschöne Landschaft wird die Gegend um die Ziegeleiweiher von Eschlikon auf diversen Wander- und Radfahrerblogs gepriesen. Das mag sein. Doch wenn wir uns dabei eine „ursprüngliche“ oder „unberührte“ Landschaft vorstellen – weit gefehlt! Sehen wir genauer hin, merken wir, dass wir uns nicht auf die Verführungskünste einer Landschaft einlassen dürfen, denn fast alles ist dort in Eschlikon „gemacht“.
Eine Senke ist es zunächst, die sich entlang der Bahnlinie von Südost nach Nordwest hinzieht, zwischen den Stationen Sirnach und Eschlikon. Jeweils ein Weiher befindet sich zu beiden Seiten der Bahnlinie, sie sind gesäumt von Bäumen und Unterholz. Anglersteige befinden sich auf ihnen. Daran schliessen weite Ächer und Wiesen an. Oberhalb, im Südwesten der Senke befindet sich ein bewaldeter Hügelrücken namens Stockenholz. Am westlichen Ende thronen die Gebäude der Müllentsorgung der Inno-Recycling. Die Gebäude der Entsorgungsanlage durchbrechen den anmutigen Charakter der Landschaft, sind aber unbestritten notwendig für die müllgeplagten Haushalte der Umgebung. Die Müllentsorgung ist auch,wie wir später erfahren werden, wichtiger Mosaikstein im Ökosystem der Ziegeleiweiher.
Anders, als man beim ersten Anblick annehmen würde, ist die Landschaft weit entfernt von gottgegebener Ursprünglichkeit. Im Gegenteil, sie ist das Werk einer seit 150 Jahren fortgesetzt währenden Technikgeschichte. Aus einem Provisorium entstanden versteckt sich hinter der Fassade die Geschichte von Industrialisierung und Eingriffen in die Natur. Nix mit Bio, alles das Werk von Ingenieuren – aber trotzdem schön. Doch der Reihe nach erzählt:
Phase 1: Der Bahnbau. Alles begann mit dem Eisenbahnbau im Thurgau Mitte des 19. Jahrhunderts. Spätestens als die deutsche Eisenbahn den Bodensee bei Friedrichshafen erreichte, begannen sich auch Schweizer Planungsteams mit dem Bahnbau durch Mostindien zu beschäftigen. Mostindien, als vorwiegend landwirtschaftlich geprägter, armer und „rückständiger“ Kanton war aber nicht das Ziel des Unterfangens. Im Gegenteil: es galt, ihn möglichst schnell und effizient mit wichtigen Gütern zu überwinden. Mittelfristig sollte die Bahnlinie Rorschach – St. Gallen – Winterthur entstehen, prosperierende Zentren miteinander verbunden werden. Erste Initiativen dazu gab es schon im Jahr 1846 mit der Gründung des „St.Gallisch-Appenzellischen Eisenbahn-Vereins“. Dabei ging es im Laufe der Planungen nicht ohne einen heftigen kantonalen Streit über die Streckenführung ab, denn die Thurgauer Regierung bestand auf einer komplett anderen Strecke (was in der Literatur mitunter unfreundlich als „Thurgauer Obstruktionspolitik“ bezeichnet wurde). Sie sollte über Wil – Wängi – Frauenfeld führen. Schliesslich setzten aber das reiche Winterthurer und St. Galler Grossbürgertum die heutige Streckenführung Wil – Eschlikon – Aadorf durch. So wurde letztendlich dieser Teil der Eisenbahnlinie im Oktober 1855 eröffnet, die Schweizer Bundesversammlung hatte den Streit zwischen den betroffenen Kantonen letztendlich entschieden. Dass in den Anfangszeiten der Bahn Eschlikon nicht einmal einen Bahnhof besaß, lag auf der Hand. Der Ort war, eisenbahntechnisch gesehen, von untergeordneter Bedeutung. Mehr interessiert waren die Betreiber der Bahn jedoch an den Kiesvorkommen der Umgebung, wovon bis heute zahlreiche Kiesgruben (etwa am Risberg bei Wallenwil) zeigen. Er diente u.a. zur Aufschichtung des Bahndammes.
Phase 2: Instabiles Gelände. Stellenweise führte die Trasse der Bahn durch Feuchtgebiete. Am Südende Eschlikons befanden sich Torfgebiete, dort wo sich heute das Industrie- und Gewerbebetrieb Ried befindet. Seit 1730 hatte die Dorfbevölkerung Torf für den Eigenbedarf an Brennstoff abgebaut, bis die Vorkommen in den 40 Jahren des 19. Jahrhunderts aufgebraucht waren bzw. die Kohle mit ihrem höheren Brennwert weitaus attraktiver geworden war. Zudem rückte der ökologische Schaden eines ausgedehnten Torfabbaus immer mehr ins öffentliche bewusstsein. 1987 war es dank der sgn. „Rothenturm – Initiative“ mit dem Torfabbau in der Schweiz zu Ende. Durch Volksentscheid wurden die noch bestehenden Moorlandschaften unter Schutz gestellt. Doch dafür war es für das Eschliker Torf zu spät! Es war inzwischen entwässert worden und für siehe TORF und LEHM auch Wikipedia. (
Direkt an dieses Torfgebiet schloss sich die Senke an, in der später die Ziegeleiweiher entstehen sollten. Der sumpfig, nasse Untergrund der Bahntrasse zwischen Aadorf, Eschlikon und Wil führte schon während des Baus zu grossen Problemen, die sich während des fortlaufenden Betriebs der Bahn fortsetzen sollten. 1905 kam es zur ersten Bahndammabsenkung bei Eschlikon, 1960 zur nächsten. Schuld daran war aber nicht allein der lehmige Untergrund des Feuchtgebietes, sondern auch die Tätigkeit der Ziegelei Weibel (1898 – 1962), die sich am Westende der Senke angesiedelt hatte und das Gebiet südlich der Eschliker Bahntrasse zum Abbau von Ziegeln nutzte. Durch den Abbau der Lehmlagerstätten gingen die natürlichen Widerlager entlang der Bahntrasse verloren und diese rutschten ab. Was also tun?
Die Entstehung der Ziegeleiweiher: Nachdem mehrere Befestigungsversuche fehlgeschlagen hatten, füllte man die Abbaugruben mit Wasser. Der Plan gelang, nur die Ziegelei, die ohnehin auf lange Sicht unrentabel geworden war, musste 1962 schliessen. Schliesslich wurde auf deren Gelände die Gebäude der InnoRecycling AG errichtet, die wir bis heute sehen können. So fügten sich die beiden Weiher nordlich und südlich der Bahnlinie in das neu entstehende Landschaftsgebiet ein und erzeugten landschaftspolitisches Entwicklungspotential. Die Gemeinde und vor allem deren politische Vertreter begannen sich angesichts der erhöhten Nachfrage nach Naherholungsraum für die Bevolkerung von Eschlikon und Sirnach stärker für das Projekt zu interessieren. Nach Jahrzehnten ungehemmten Torf- und Lehmabbaus sollten die Weiher zu einer Art ökologischem Reservoir werden und Teil eines Vernetzungsprojekts, das die Ökosysteme entlang der Bahnlinie verband. Ebenso wurde der Ruf nach Nutzung der Ziegeleiweiher als Badeseen laut. Ob dies in Zukunft gelingen kann, will man bis heute nicht mit Bestimmtheit sagen.
Abwasserregulierung: Geschickte PolitikerInnen verknüpften die Erfordernisse einer effizienten Entwässerung des Industriegebiets Riet mit ökologischem Trommelwirbel. Mehrere Ziele sollten miteinander verbunden werden: (1) Das Regenwasser des Industriegebiets Ried wird dem südlichen Ziegeleiweiher zugeleitet. Dafür wurde ein kleiner Bach geschaffen und mit Bäumen begrünt. Der neue Bach heisst Kwattbach. (2) Am unteren Endes des Ziegeleiweihers wird ein Abfluss geschaffen und unter die Bahnlinie auf die andere Seite in den Chräbsbach geführt. Auch Amphibien können so die Bahntrasse passieren. (3) Die Innorecycling entnimmt mittels eines Pumpwerks Wasser aus dem Ziegeleiweiher und verwendet es anstatt von Trinkwasser das Weierwasser für ihre Recyclingprozesse. Das 800.000 Franken teure Projekt (Voranschlag 2018) soll also nicht nur die Abwasserentsorgung des Industriegebiets Riet, die Wasserversorgung der Inno-Recycling und einen nährstoffärmeren Ziegeleiweiher garantieren.
Aus einem hochkomplexen Ökosystem von nassen Mooren und Wiesen ist also ein im Laufe der Jahrhunderte hochkomplexes System an Eingriffen in die Natur geworden, kein Rückbau an Technik sondern eine künstliche Landschaft, die verschiedene Interessen bedient. Die mit den jüngsten technischen Arbeiten beauftragte Firma Fröhlich Wasserbau bringt es in einem Fact Sheet auf den Punkt, indem es vom einem Projekt im Spannungsfeld verschiedener Nutzungsansprüche spricht: Siedlungsentwässerung, Hochwasserschutz, Naturschutz, Wassernutzung, Naherholung und Landwirtschaft.
Recherche:
- Anton Heer: Rorschach – St. Gallen – Winterthur. Zwischen 170 jähriger Eisenbahngeschichte und Zukunft. 2006
- Offizielle Webseiten der Geminden Bichelsee-Balterswil und Eschlikon, zuletzt aufgesucht am 5. März 2021.
Das ist wirklich interessant. – Übrigens bestärkt es meinen Glauben daran, das Slartibartfaß auf Magrathea die norwegischen Fjorde entworfen hat. [http://www.buechervielfalt.de/per-anhalter-durch-die-galaxis/magrathea.html]
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Da muss ich mal nachforschen …
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