Kleinwasserkraftwerk Untermühle (Wikimedia Commons)

Ehehaft? Wie bitte?

Bei einer Informationsveranstaltung zum Gewässerschutz in der Ostschweiz fiel mir unerwartet ein Begriff in den Schoss, der wohl auch bei den LeserInnen diese Blogs auf Stirnrunzeln stossen mag: „Ehehafte Wasserrechte“. Seitdem trage ich diesen Begriffsbrocken mit mir herum, wende ihn ratlos hin und her und beäuge ihn mit aller Vorsicht.

Hinter der sperrigen und missverständlichen Überschrift versteckt sich ein brisantes Thema: die umweltgerechte Nutzung von Kleinwasserkraftanlagen oder, wenn man so will, der Rückbau ungenutzter und maroder Wasserbauten zum Wohle des Schweizer Wassers. Natürlich geht es auch um die Beseitigung von unbegründeten Privilegien. So muss jeder, der heute in der Schweiz eine Konzession zur Nutzung der Wasserkraft beantragt, bestimmte gesetzliche Auflagen erfüllen, darunter auch solche, die zentral für die nachhaltige und ökologisch vertretbare Bewirtschaftung der Fliessgewässer sind. Kleinkraftwerke, die auf „ehehaften Wasserrechten“ beruhen, müssen dies jedoch nicht, im Gegenteil: sie entziehen sich dem modernen Wasserrecht und seinen Vorschriften.

Diese alten Wasserrechte besitzen Privilegien, die den aktuellen Gewässerschutz aber auch andere Auflagen für den Betrieb von Wasserkraftwerken umgehen. Eine Studie (BÜTLER) aus dem Jahr 2020 nennt die Bevorzugungen:

  • Während Wasserrechtskonzessionen im Normalfall auf 80 Jahre verliehen werden, sind anerkannte „ehehafte Wasserrechte“ in ihrer Gültigkeit nicht beschränkt. Sie widerstreben dem natürlichen Zyklus des Lebens, das aus Veränderung, Anpassung an neue Herausforderungen und Lernen besteht. Sie sind die Trutzburg des privaten Rechts aus längstvergangenen Zeiten.
  • Entnimmt man bei den Wehren Wasser, um sie dem Turbinenwerk zuzuführen, verbleibt der Flusslauf dahinter mit Restwasser, das laut kantonalen Vorschriften eine bestimmte Mindestmenge nicht unterschreiten darf. Bei Kraftwerken, die auf „ehehaftem Wasserrecht“ basieren, ist aber lediglich eine beschränkte Restwassersanierung erforderlich. Hier wirds besonders kritisch: das Ausmass des Restwassers entscheidet aber ganz wesentlich über die Intaktheit des Lebensraums von Flora und Fauna.
  • Inhaber „ehehafter Wasserrechte“ müssen weder Konzessionsgebühren noch Wasserzinsen entrichten. Das ist, mit Verlaub, unstatthafte Bevorzugung.

Nichts Genaues weiß man nicht. Es gibt eine ganze Reihe von Kraftwerken in der Schweiz, die in diesen sehr alten Rechtsverhältnissen begründet sind. Ihre exakte Zahl ist unbekannt, von Kanton zu Kanton höchst unterschiedlich, man ist auf Schätzungen angewiesen. Zahl und Zustand scheint in der jüngeren Vergangenheit nie systematisch erhoben worden zu sein. 2005 sollen Schweiz weit zirka 30 grosse Wasserkraftwerke mit einer Leistung über 30 Kw bestanden haben, Kleinkraftwasserwerke gibt es ungleich mehr, das Bundesamt für Umwelt gibt 117 solcher Kraftwerke an. Doch die Zahlen variieren: Kritiker gehen von Schätzungen von 130 bis 150 bzw. sogar rund 300 solcher Werken aus. Eine vom WWF erstellte Übersicht zu Kleinkraftwerken mit „ehehaftem Wasserrecht“ stellt allein im Kanton St. Gallen rund 95 Wasserwerke fest, mehr als zwei Drittel davon befinden sich derzeit ausser Betrieb.

Worin bestehen aber diese „ehehaften Wasserrechte“? Dazu müssen wir den Blick in die Geschichte wagen. Das Wort „ehehaft“ stammt aus dem Althochdeutschen und bedeutet so etwas wie „rechtmässig“. Demnach wurden im Mittelalter Rechte von den feudalen Grundherren an ein bestimmte unentbehrliche Gewerbe verliehen, wie etwa Mühlen, Schmieden, Sägewerke oder Pressen (Trotten). Aber auch Klöster, die Landwirtschaft und die Fischerei durften zu ihrem Betrieb vorhandenes Wasser am Standort nutzen. Diese Rechte waren an bestimmte Gewerbe „verliehen“, waren persönlich und konnten weitergegeben werden. Sie waren Privilegien und wohl auch so gemeint. Die Wassernutzung war dabei stets mit den unmittelbaren Nachbarn abzustimmen, der ebenso Wasser für seinen landwirtschaftlichen oder gewerblichen Betrieb benötigte. Das war mitunter ein weites Feld für Konflikte: „Jemanden das Wasser abzugraben“ ist nicht umsonst bis heute eine bekannte Phrase.

Tempora mutantur. Doch die Zeiten ändern sich. Als sich mit dem 19. Jahrhundert immer mehr die Rechtsauffassung durchsetzte, das Wasser als öffentliches Gut und wichtige Ressource zu sehen sei, geriet dieses alte „personliche“ Recht ins Hintertreffen. Viele der alten Gewerbe wurden ohnehin aufgegeben, von der mechanischen Energiegewinnung auf Stromerzeugung umgestellt und durch moderne Wasserbauten ersetzt. Trotz dieser Veränderungen kam es auf kantonaler Ebene nur selten zur Aberkennung dieser ehehaften Rechte: vielerlei Rücksichten mussten wohl lokal genommen werden. Manchmal setzen sich auch Mischformen nach erfolgten Konzessionierungen durch. Ein modernes Wasserrecht entstand, die Ressource Wasser war im Laufe der Industrialisierung knapp geworden. Der moderne Staat begann, die Wassernutzung seiner Bürger zu regeln. Während das Verfügungsrecht über das Wasser also nunmehr den Kantonen zustand, übte der Bund die Aufsicht über Wasserbau und Gewässerschutz aus. Das alte „ehehafte Wasserrecht“ fiel in einem jahrhundertelangen Prozess aus dem bestehenden Wasserrecht heraus. Die alten persönlichen Besitzrechte blieben allerdings erhalten. Oft aber ist nicht klar, auf welchen Rechtsdokumenten ein derartiger Anspruch basiert, alte Erwerbsurkunden gab es kaum, eine Nachbesserung erfolgte in manchen Fällen durch eine behördliche Erlaubnis zur Nutzung ex post. Man schwindelte sich um den alten, nicht mehr gültigen Rechtsbestand herum. So wurde de facto eine Art Freibrief ausgestellt: Private Wasserrechte bestanden weiterhin, ohne moderne Konzessionsauflagen zur Gänze erfüllen zu müssen. So sind wir heute mit einem Bestand an alten Wasserrechten konfrontiert, die nicht mehr geltenden Rechtsnormen entsprechen. Ein Gutachten hält fest:

Auf diese Weise wurde mit den modernen Wasserrechtserlassen im 19. und frühen 20. Jahrhundert zwar eine moderne Ordnung eingeführt: Die Gewässer sind grundsätzlich öffentliche Sachen unter kantonaler Hoheit und Verwaltung. Zugleich anerkannte das neue Recht aber einen Restbestand der alten Rechtsordnung, was in der Lehre unter dem Sammelbegriff der ehehaften Rechte erfasst wurde.

Abegg, Seferovic: Gutachten zur Ablösung ehehafter Wasserrechte. 2020

Ehehafte Wasserrechte sind verfassungswidrig. Mit dieser schlampigen Situation ist es aber seit Kurzem zu Ende. Nach einem Rechtsstreit um die beabsichtigte „Renovierungsarbeiten“ des Kleinkraftwerks Hammer im Kanton Zug hielt das Bundesgericht im März 2019 fest, daß der Fortbestand dieser Rechtsverhältnisse nicht verfassungskonform ist. Die ehehaften Wasserrechte seien den heute geltenden Vorschriften vollumfänglich und entschädigungslos zu unterstellen. Die Wassernutzung darf nur fortgeführt werden, wenn die ehehaften Rechte durch befristete Wassernutzungskonzessionen abgelöst werden. Diese Entscheidung ist von großer Bedeutung, sie eröffnet Chancen für eine Verbesserung des Gewässerschutzes.

Chancen für den Schutz von Fliessgewässern. Umweltpolitisch stellen diese alten Rechte ein grosses Problem dar. Sie stehen regelmässig in Widerspruch zu aktuellem Umweltrecht, da sie moderne Konzessionsauflagen nicht erfüllen müssen. Dies zeigt sich insbesondere an der vorgeschriebenen Restwassermenge eines Flusses, wenn etwa für den Betrieb einer Turbine mehr Wasser aus dem Flusslauf entnommen wird als vorgeschrieben bzw. dem funktionierenden Lebensraum des Flusses zuträglich ist. Dem volatilen Umgang mit den Restwassermengen der gestauten Fliessgewässer muss ein Ende gesetzt werden.

So legt etwa das Gewässerschutzgesetz seit 1992 fest, dass bestimmte Restwassermengen nach der Entnahme von Wasser aus einem Flusslauf erhalten bleiben müssen. Ohne Wasser kein Leben, so formulert auch das Bundesamt für Umwelt:

Ausreichendes Restwasser ist nötig, um die vielfältigen natürlichen Funktionen der Gewässer zu gewährleisten: Sei es als Lebensraum für Tiere und Pflanzen, als Landschaftselement oder zur Speisung von Grundwasser und zum Abbau von Schadstoffen. (…) Welche Restwassermenge angemessen ist, bestimmen die Kantone für jedes Gewässer und jeden Entnahmeort separat.

Bundesamt für Umwelt BAFU

Viele Kraftwerksanlagen, auch nach modernem Recht, entsprechen derzeit nicht den vorgegebenen Standards für Restwassermengen. Viele Flüsse und Bäche werden zumindest für einen bestimmten Zeitraum unterhalb der Wasserentnahme trocken gelegt. Das liegt daran, dass alte Konzessionen noch bestehen beziehungsweise Sanierungen noch nicht abgeschlossen sind. Und es liegt auch daran, dass die Kraftwerke mit „ehehaften Wasserrecht“ in nur beschränktem Ausmass Restwassersanierungen durchführen mussten.

Aber es ist nicht nur das Restwasserproblem und die unbeschränkte Konzessionierung, die ökologische Probleme verschärft haben. Zu berücksichtigen sind auch Standards im jeweiligen Geschiebehaushalt der Fliessgewässer, die Emöglichung der Fischwanderung sowie die Revitalisierung der flussnahen Räume. Immerhin beeinträchtigen die rund 1400 Kraftwerksanlagen mit rund 2700 km Restwasserstrecken den Zustand der schweizer Fließgewässer sehr stark.

Die grössten Schweizer Flüsse sind heute kraftwerksbedingt weitgehend eine Abfolge von Stauseen. Kein 1. HintergrundGesunde Flüsse und Bäche sind Quellen des Lebens. Doch der Druck auf diese wertvollen Lebensräume ist anhaltend hoch. Umso wichtiger ist ein starker Schutz. anderes Land auf der Welt nutzt seine Gewässer so stark für die Wasserkraftproduktion wie die Schweiz. Trotz einem Überangebot an Strom, fehlender Rentabilität und vorhandener Alternativen herrscht aber dank Subventionen bei der Kleinwasserkraft nach wie vor ein Bauboom: Diese Werke produzieren nur we-nig, dafür aber teuren Strom, bei oft hohem Schaden für Natur und Landschaft.

WWF: Wie gesund sind unsere Gewässer?

Und was folgt? So wichtig die Entscheidung des Bundesgerichts auch war, es wird darauf ankommen, wie die Kantone diese Rechtsvorschriften zeitlich und qualitativ umsetzen werden. Der Kanton St. Gallen etwa spricht davon, dass die

die betroffenen Anlagenbesitzer (ca. 80 Anlagen) zur Zeit persönlich kontaktiert (werden), um den Bestand aufzunehmen und das weitere Vorgehen zu besprechen. Unser Ziel ist es, sämtliche Anlagen bis ins Jahr 2029 auf eine neue Grundlage zu stellen oder aber deren Rückbau / Stilllegung in die Wege zu leiten.

Kanton Thurgau: Wasserkraft (zuletzt aufgerufen 13.3.2021

Die Schwierigkeit der Umsetzung liegt offensichtlich im Detail. Ich unterstelle, dass amtlicherseits weder die genaue Zahl solcher Kraftwerke noch deren deren Zustand bekannt ist. Um hier überhaupt gesetzeskonforme Initiativen setzen zu können, wird es wohl notwendig sein, erst einmal im Kanton die genaue Anzahl der Kraftwerke zu identifizieren und diese zu bewerten, um sie auf eine neue Grundlage stellen zu können. Überhaupt ist ein kontinuierliches Monitoring der Fliessgewässer schon seit langem eine zwingende Notwendigkeit. Da ist, mit Verlaub, sehr viel zu tun.

Recherche:

  • Abegg, Seferovic: Die Ablösung ehehafter Wasserrechte. 2020 (pdf download)
  • Bütler, Michael: Zur Ablösung ehehafter Wasserrechte durch Wassernutzungskonzessionen. 2020 (pdf download)
  • WWF: Wie gesund sind unsere Gewässer? Zustand und Schutzwürdigkeit der Schweizer Fliessgewässer. 2016 (pdf download)