
Wie es der Zufall will, lsssen sich zu dieser Gelegenheit die beiden Projekte dieses Blogs zusammenführen. Was Pegasus betrifft, so werfe ich den vierten Stein in die Landschaft und er landet auf einem Hügel vor Rickenbach. Von dort sieht er auf das Mega-Einkaufszentrum Breite und die vielbefahrene Strasse in das Toggenburg. Doch davon in einem späteren Posting. In der Gemeinde Rickenbach liegt auch eines jener Kraftwerke mit „ehrenhaften Rechten„, die ich mir vorgenommen habe, zu untersuchen. Es liegt mit seinem Stauweiher unter einer hohen Strassenbrücke, die anzeigt, wer hier das Sagen hat: die modernen Zeiten.
Rickenbach bei Wil (TG) ist einer jener Orte, die bei mir immer ein gewisses Unbehagen auslösen. Alte und neue Bausubstanz leben hier in Feindschaft zueinander. Hier gehen Immobilienverwertung, Bodenversiegelung und Umweltbeeinträchtigung Hand in Hand, ein Eingriff in die Natur zieht die Notwendigkeit eines anderen Eingriffs nach sich. Die ursprüngliche Attraktivität der Landschaft, ihre ökplogische Gesundheit und ihr Erholungswert gehen langsam vor die Hunde. Ein Stück Natur und sein Gewässer werden zunehmend privatisiert und von Bauten eingefriedet. Ein Badesee soll daraus werden. Man steht da, beobachtet, fühlt sich ohnmächtig und wundert sich über das allgemeinde Unverständnis der Investoren und Betreiber.
Des Verständnisses wegen müssen wir wieder mit der Geschichte der Region beginnen.
Bis vor gut hundert Jahren versickerten die Bäche im «Wilerfeld». Dann wurden frühere Riedgebiete mit Drainagen trockengelegt und dadurch landwirtschaftlich intensiver nutzbar. Ab Mitte des 20. Jahrhunderts wuchs die Bevölkerung, neue Wohn- und Gewerbebauten sowie Infrastrukturanlagen entstanden. Gewässer wurden unter den Boden verlegt und die Bäche in ihrer ökologischen Funktion stark eingeengt.
Flugblatt zum geplanten Hochwasserschutz der Region Wil, 2021
Die Abflusskapazität dreier Bäche, die ins heute stark verbaute Wilerfeld führen ist gering. Die Sturzregen in den letzten Jahren hatten aufgrund der Versiegelung der Landflächen und der geringen Wasseraufnahmekapazität der Bäche katastrophale Auswirkung. Die Autobahn wurde bei Unwettern mehrmals (2015 und 2018) überschwemmt und mit Erdmassen verschüttet, das Wasser der Bäche mischt sich bei starken Regenfällen mit den Abwässern der Siedlungen und verschlechtert die Wasserreinigungskapazität der ARA (=Abwasserreinigungs-anlage) am Alpbach drastisch. Starkniederschläge hatten bereits 1972 und 2005 zu starken Schäden in den Gemeinden des Wiler Einzugsgebiets geführt, namentlich in Wilen und in Rickenbach.
Mit einem Budgetvolumen von 28 Millionen Schweizer Franken soll nun in den Jahren 2022 bis 2025 ein regionales Projekt zum Hochwasserschutz in der Region Wil durchgeführt werden. Beteiligt sind die Gemeinden Wil, Wilen, Sirnach und Rickenbach. Wie heisst es so schön: Das „Gefahrenpotential“ soll verringert werden, „Interessensabwägung“ stattfinden. Mit der Vertiefung und Verdolung von Bachläufen, der Verlegung eines Weihers aber auch der naturnahen Gestaltung der noch offenen Bachufer soll der Überschwemmungsbedrohung Einhalt geboten werden.
Apropos böse Bäche: neben Krebsbach, Huebbach und Meienmättelibach ist auch der Alpbach gefordert, jener Bach an dem ein ehemaliges Kraftwerk mit ehehaften Wasserrechten liegt und der auch für den Weitertransport des gekärten Wasser von der ARA Rickendorf verantwortlich ist. Wir möchten wohl annehmen, dass bis dato von den politisch Verantwortlichen, Eigentümern und Anrainern alles getan wurde, um den Bach samt seinen beiden Weihern die grösstmögliche Renaturalisierung angedeihen zu lassen, auch um seine Funktion als Wasserrückhalt zu erhalten. Das Gegenteil ist der Fall. Es wird versiegelt, was das Zeug hält.
Als ich den Alpbach und den von ihm gespeiste Stauweiher begehe, treffe ich unterhalb des Ortes Rickenbach auf eine Grossbaustelle am Ufer. Ein Wohnturm mit 44 Wohnungen wurde hochgezogen und steht kurz vor der Fertigstellung. Er überragt sogar den auf der Anhöhe stehenden Turm der Kirche von Rickenbach. Das Südwestende des Weihers, der an das Wohnareal grenzt wurde mit grossen Steinen eingefasst, die dahinterliegende Fläche versiegelt. Ihm gegenüber, am anderen Flussufer in Nordosten gibt es schon seit 2014 einen zweiten Wohnturm, die Mühle Freudenau, die nun ebenfalls Wohnungen und Lofts beherbergt. Das nördliche Längsufer ist ebenfalls verbaut, die kleine Prominade am Südufer, der einzige noch teilweise öffentlich zugängliche Areal am Weiher ist wegen der allgemeinen Bautätigkeit gesperrt. Versiegelter Privatbesitz am privaten Badeteich beherrscht das Bild. Mehr als zwei Drittel des Ufers am Weiher werden von der Eberle NAFAG AG Immobilien verwaltet. Das, was ein schöner, stiller und ruhiger Ort sein könnte, der jedes Recht hätte belassen oder gar zurückgebaut zu werden, wird in Privatbesitz versiegelt und der Immobilienbranche anheimgestellt. Diese versucht mit flotten Slogans ihre ökologische Blindheit zu verbergen:
Ein markanter Turm inmitten idyllischer Natur. Spektakuläre Aussicht bis zum Säntis und den Churfirsten. Eine Welt abseits der Hektik und doch nahe am Geschehen. Willkommen in der Mühle Rickenbach.
Homepage Mühle Rickenbach vom 18. März 2020

Es ist schon paradox. Da wird mit der Idylle der Natur argumentiert, die im selben Zug zurückgedrängt und bedroht wird, durch ebendieses Unterfangen. Greenwashing nennt man dies wohl. Das ist nicht Unbedarftheit, das ist Kalkül.
Fassen wir also zusammen. Während die öffentliche Hand mit den Folgen der Versiegelung der Landschaft kämpft und mit einem 28 Millionen Franken schweren Projekt Umweltschäden (Wasserverunreinigung, Überschwemmungen, Vermurungen) hintanzuhalten versucht, versiegelt eine private Immobilien AG die Ufer eines wichtigen Weihers und macht offentliche Wassernutzung zu privatem Unrecht. Während öffentliche Steuergelder aufgewendet werden müssen, um Katastrophen hintanzuhalten, machen Private auf öffentliche Kosten Gewinn. Das verbreitet, mit Verlaub Bitternis, auch in Rickenbach und nicht nur bei mir.
Recherche:
- Kanton Thurgau (Hrsg): Flugblatt zur Mitwirkung 2020. Hochwasserschutz Region Wil.
- Tagblatt vom 15. 02. 2019:Mit Baggern gegen Hochwasser.
- Swiss Architects: Ersatzneubau Mühle Freudenau
Menschen spielen Hase und Igel mit sich selbst. Erst versiegeln sie, dann kommt der Hochwasserschutz. Zuletzt wird vielleicht der Beton begrünt, weil es schöner aussieht.
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