Franz Karl Basler-Kopp: Die Schwarze Spinne

Im Ernst: das Böse war immer schon interessanter als das Gute, welches so selbstzufrieden daherkommt und sich den bestehenden Moralvorstellungen andient. Von ihm, dem Bösen, können wir lernen, das Gute zu verstehen. All das Gerede von der besseren Welt im Jenseits verschleiert doch nur, wie schlecht es um die bestehende Welt bestellt ist. In ihr wütet das Böse, davon aber wollen wir nichts wissen. Deshalb sind sie so wichtig, der Teufel, die Trolle und sonstige Bösewichte, weil sie uns auf unsere Unachtsamkeit hinweisen. Immer schon geht es um den Kampf zwischen Gut und Böse, Gott und Teufel. So viel Resilienz muss doch sein, beide ertragen zu können.

Sich mit dem Teufel zu beschäftigen, hat sich in diesem Blog schon mehrmals aufgedrängt, beim Posting Teuflisches Gewässer etwa. Immer wieder diese Versuche, dem Teufel ein Schnippchen schlagen! Ein schönes Beispiel für diese Arroganz ist die Sage vom Teufel im Thurgau, wie wir sie in der Sammlung von Dino Larese aus dem Jahr 1942 lesen können. Interessant wie hier mit exaltiertem Patriotismus der Teufel verharmlos wird, während die Welt in den Flammen des 2. Weltkriegs steht:

Du mußt nämlich wissen, daß die Thurgauer rechtschaffene, fleißige Leute sind, die sich nicht fürchten müssen vor dem Teufel und überhaupt gar keine Zeit haben, an Teufelszeug und dergleichen zu denken.

Dino Larese: Der Teufel im Thurgau.

Nicht einmal ans Böse denken soll man! Dass das Böse doch wohl auch in jedem Menschen aus Mostindien stecken mag, wird frech verneint. Der Thurgauer ist fromm, stark und arbeitsam und sollte es den Teufel doch wieder reizen, Mostindien zu besuchen, wird er von seinen BewohnerInnen rasch neutralisiert. Die Sage erzählt, dass der Teufel beim Besuch des Thurgau einen Mostbauern trifft, ihn aber bei einem Handel nicht überrumpeln kann und noch dazu in einem Fass vernagelt wird. Auch der zweite Versuch des Teufels, eine Seele zu ergattern, scheitert. Er wird dabei von einem Müller in einem Stall eingeschlossen und dort vom wütenden Ziegenbock geprügelt. So entschliesst sich der Teufel, den Thurgau endgültig zu verlassen. Wie Abwehrzauber wirkt die Gewitztheit der beiden Thurgauer Protagonisten, der Teufel erscheint als Tölpel. Die Welt ist wieder in Ordnung. Die Schweiz hat schliesslich den Weltenbrand gar nicht schlecht überlebt. Larese schreibt:

Das war nun zu viel gewesen für den Teufel. Er verzog sich aus dem Thurgau und dachte ingrimmig: „Nur keinen von diesen Kerlen in der Hölle, die brächten mir ja alles durcheinander!“

Dino Larese: Der Teufel im Thurgau.

Diese Verharmlosung teuflischer Ränke hat 100 Jahre zuvor noch nicht so radikal geklungen. Es lohnt, das wohl bekanntesten Buch von Jeremias Gotthelf, „Die Schwarze Spinne“ zu lesen. Hier entfaltet sich die Magie des Bösen durch die schwarzen Spinnen, die die Landschaft im Auftrag des übertölpelten Teufels verwüsten. Sie zeigen den Heuchlern im Emmental auf eindrucksvolle Weise, was es heisst, den Teufel zu betrügen. Tod und Grauen sind die Folge eines Vertragsbruchs und verheeren die Talschaft, fast möchte man an die Folgen einer Pestepidemie denken. Selbst die Macht des Priesters ist in diesem Konflikt beschränkt: im Show Down mit den Gewalten der Hölle geht auch er am Gift der Spinnen elendiglich zugrunde. Gott ist tot, für einige Momente. Aber noch 200 Jahre später kann die Rache des Teufels wirksam sein, wenn die Menschheit Gott nicht fürchtet. Wieder müssen Menschen sterben, weil Hochmut und Hoffart das Emmental bedroht. Wir lernen daraus, dass der Wille zum Bösen nicht etwas ist, was man ein für alle Mal abhaken kann. Im Pfosten eines uaralten Hauses ist die Spinne eingeschlossen und wartet nur darauf, aktiviert zu werden. Der Schrecken kehrt zyklisch wieder. Denn immer wieder droht der Teufel unverhohlen aus dem Schattenreich, bereit, Angst und Schrecken zu verbreiten. Die Frage stellt sich: Ist Gott tatsächlich allmächtig, wie Gotthelf am Ende des Romans signalisieren muss, hat er die Macht jedem seine Kräfte zuzuteilen, den Spinnen wie den Menschen?

Heute, im 21. Jahrhundert, erreicht uns eine schlechte Nachricht: Der Teufel als das personifizierte Böse ist vollends verschwunden, die Auseinandersetzung mit ihm ist obsolet geworden. Gut und Böse sind keine Kategorien mehr. Damit stirbt auch der Kampf zwischen den Dichothymien dieser Welt. Niemand fürchtet sich mehr im Taumel eines ungebrochenen Fortschrittsglaubens. Das Böse in und um uns darf sich ungeniert entfalten, ohne erkannt zu werden. Beim Blättern in einem prächtigen Bildband über den Teufel lese ich mit steigender Spannung:

Der Mensch des Mittelalters hört und sieht den Teufel überall, im Toben des Sturmes, im Brechen der Wellen, im Lodern der Flamme, im Aufleuchten des Blitzes , im Hagelwetter, im Irrlicht, in Krankheiten, in seinen eigenen Gedanken und Gefühlen. Der moderne Mensch Mensch sieht, (…) im Lauf der Dinge nur den endlosen Strom von Ursache und Wirkung, dessen Richtung man mit dem entsprechenden Wissen vorhersehen und beschreiben kann. Er sieht nicht das Reich der Willkür vor sich, sondern das Reich fest verankerter Gesetze. Die Wissenschaft hat den Teufel von einem Phänomen zum anderen getrieben, so wie man einen Feind von einer Stellung zur anderen treibt, und hat ihm nun weder auf der Erde noch im Himmel ein einziges Fleckchen gelassen, wohin er sich zurückziehen und von wo er erneut seinen Schatten über die Welt werden konnte.

Arturo Graf: Satan, Beelzebub, Luzifer. 2009

Darf man das Ableben des Teufels überhaupt betrauern? Ich weiss schon, die Beschäftigung mit ihm hat immer schon die AufklärungsfanatikerInnen auf den Plan gerufen und gleich nach ihnen jene, die Aberglauben unterstellen und wegen des unterstellten Obskurantismus rechtes Gedankengut vermuten. Dabei aber ist die Dichotomie von Gut und Böse (Gott und Teufel) interessant und aufschlussreich. Wieder her mit dem Teufel, denke ich, um Thanatos in uns zu bannen, den Teufel müssen wir mit dem Beelzebub austreiben. Denn die Wahrheit ist: niemals wird die Funktion des Teufels obsolet werden. Wahnwitz, Angst und Hochmut nagen heute schon an den Pfeilern unserer Demokratie. Der teuflische Pakt, den wir geschlossen haben, um für ein paar läppische Almosen unsere Welt zugrunde zu richten richten, ist längst geschlossen: nur erkennen wollen wir das waltende Teuflische nicht, weil wir zu befangen sind von ijm. Im Schatten der Dystopie, die Realität geworden ist, zeigt sich die Irrationalität unserer Zeit nur noch stärker. Seuche und Teufel waren stets ein kongeniales Paar.

Denn solange es den guten, hingebungsvollen und selbstgewissen Menschen gibt, gibt es auch den bösen, erfüllt von teuflischen Gelüsten und Plänen zur teuflischen Tat. Da müssen wir gar nicht erst Freud bemühen, mit seinem Kampf zwischen Thanatos und Eros. Denn wie heisst es so schön im Wilhelm Tell bei Schiller: Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt. Sie gehören zusammen, sie müssen streiten und sind die beiden Seiten der selben Medaille. Harmoniebedürfnis ist hier Fehl am Platz. Ein sich selbst bewusstes Ich bliebe zu wünschen.

John Bauer: Der Troll und der Knabe.

Gleichwohl flackern sie immer wieder auf, die Phantasien über den Teufel. Ganz wegzukriegen ist er wohl nicht aus dieser Welt, weil er immer schon darin wohnte. Insbesonders die Asozialen Medien scheinen anfällig zu sein. In der Verunsicherung und der Angst von unbedarften Usern ist ein neuer Begriff entstanden: der Troll. Er, schenkt man den Gerüchten am virtuellen Lagerfeuer Glauben, richtet Verheerendes in unser aller Mitte an. Gleich denkt man an die Troll-Armeen Russlands und Nord-Koreas, die die Medienlandschaft des Westens destabilisieren wollen. Junge Männer sind es meist, die mit zündelnden Kommentare das Vertrauen einer Web – Community zerstören wollen. Hohe Sadismuswerte und psychopathologische Symptome sollen die Trolle besitzen. Von Narzismus wären sie getrieben, von ungeheurer destruktiver Energie erfüllt. Sie greifen in organisierter Form, mit geballten Lügen und fiesen Strategien ihre armen Opfer an. Versteckt sitzen sie hinter gefakten IP-Adressen, missbrauchen die Meinungsfreiheit und richten Existenzen zugrunde. Sie verführen mit bewusst lancierten Hasstiraden. Und es gibt noch weitere Namen für sie: Rabiate Rocker, rachsüchtige Revanchisten, fanatische Cyberhacker, verkrachte Netzdschihadisten, despotische Veteranen aus dem Hybridkrieg, radikale Nationalisten und zynische Gegner der staatlichen Ordnung (Hvorecky). Verschwörungstheoretiker lassen grüssen, sie kommen den Trollen gerade recht.

Wissenschaftliche Forschung zu ihnen gibt es kaum, nur Ratgeber und journalistische Analysen erscheinen immer öfter. Die österreichische Journalistin Ingrid Brodnik hat da schon ein breites und anerkanntes Ouvre zustandegebracht: Lügen im Netz (2018), Hass im Netz (2016), Über Macht im Netz (2019), Einspruch (2021) – exzellente Bücher mit steigendem Verkaufserfolg. Sie wird zur Jeanne d’Arc einer Generation, die mit dem Internet verwachsen ist, die Gottseibeiuns der Schwurbler. Gleichzeitig wird auch sie zum Opfer der Enttarnten. Aber auch noch etwas Anderes zeigt sich im Interesse an ihren Büchern: die wachsende Sensibilität der Öffentlichkeit am Thema Troll. Doch, und das ist die andere Seite der Aufklärung, je mehr darüber diskutiert, getuschelt, fantasiert und sich empört wird, umso offener ist der Begriff des Trolls für Übertragung. Wer sein ganz persönliches Glück beim Bloggen gefährdet sieht, sieht gerne hinter jedem Kommentar, der vor Lob nicht strotzt, hinter jeder Kritik und entlarvenden Bemerkung die hässliche Fratze eines Trolls hervorblitzen. Wehleidigkeit und Verfolgungswahn erfinden gerne den Hater nur allzu gerne. Doch wer sagt, dass Follower nur emphatisch sein müssen? Gerne wird jenen, die sich in Kritik ergehen, das Trollsmal an die Stirn geheftet: das entlastet ungemein. Gleichzeitig schwenkt man das Weihrauchfässchen der guten Nachbarschaft, um den Tabubruch zu verfolgen. „Weiche, Satan/Toll, von den Stufen meiner sakrosankten Meinung! “ Leicht wird man dadurch auch selbst zum Troll.

Da fällt mir eine Bekannte ein, die ich in einem Blog für ihre Interpretation eines Zukunftsforschers kritisiert hatte: „Das ist meine Meinung, lass mir meine Meinung!„, antwortete sie in heller Panik. Als ob ich ihr etwas von ihrer Identität gestohlen hätte. Der heilige Gral der Meinung ist wohl das Einzige das bleibt, wenn man sich mit Kritik nicht auseinandersetzen will. Dabei ist es so einfach: Wer schreibt, wird möglicherweise für seine „Meinung“ kritisiert und wer die Öffentlichkeit sucht, muss sich ihr auch stellen. Wer nicht die nötige Resilienz dafür besitzt, sollte einfach die Kommentarfunktion seines Blogs abschalten, so es die Eitelkeit nicht verbietet. Ja, es gibt die Trolle, auch sie sind Follower und sie sind Teil des Spiels im Netz. Andere wehleidig und vorschnell als Trolle zu verunglimpfen, ist allerdings zu wenig in einer Welt, wo man sich den Anderen stellt: zu Lob, Kritik oder auch nur zu Gleichgültigkeit. Das Leben ist niemals ein Ponyhof gewesen.

Doch zurück zu den Trollen, den sie haben wirklich unsere Aufmerksamkeit verdient. Diese Fabelwesen aus der nordischen Mythologie symbolisierten einst die Kräfte der Natur. Naturgewalten sind bekanntlich nicht berechenbar. Wer Teil dieser Kräfte ist, wird rasch des Heidentums beschuldigt. Folgerichtig wurden Trolle (Feen, Waldgeister, Kobolde und Hexen) vom Christentum dämonisiert, vertrieben und verbrannt. Hässlich, unbekleidet und unberechenbar sassen die Trolle trotzdem in den Wäldern wiewohl sie entbehrlich geworden waren. Vom norwegischen König Olav, dem Heiligen wurden sie im 11. Jahrhundert in einer denkwürdigen Schlacht zu Stein verwandelt. Christianisierung hiess der neue Zauber, an den man glauben musste, die Liebe zu Gott und den Menschen vortäuschend. Beim Altmeister der Phantastischen Literatur, JRR Tolkien, leben die Trolle dann wieder auf als Steintrolle, Bergtrolle, Hügeltrolle, Höhlentrolle. Wirklich böse sind sie aber in Walter Moers Roman „Zamonien“ gezeichnet. Doch das sind bloss literarische Rückgriffe auf die Mythologie von Wesen, die schon längst (so wie der Teufel) ihre Gefährlichkeit verloren haben. Auch ihnen wurde im 20. Jahrhundert endgültig die Macht genommen. Als Museumsstücke dienen sie, um Touristen zu geheimnisvollen Orten zu führen. Auch hier sage ich: Lasst die Trolle wieder leben – um mit ihnen die Wahrheit auszufechten!

Was aber wäre mit Ihnen heutzutage überhaupt noch anzufangen? Was wäre, käme man nach Hause und fände dort einen Troll vor, der einen mit seinen Pheromonen verführt, in den man sich hemmungslos verliebt. Nein, fragen Sie jetzt nicht, welches Geschlecht ein Troll besitzt! Lassen Sie die perversen Anteile ihrer Fantasie sich frei entfalten. Es sind die Gerüche des zottigen Humanoiden, die Sie erbeben lassen, sie sind ihm verfallen. Die Wildnis hat Sie in ihren Bann gezogen. Dreckiger Pagan! Die finnische Autorin Johana Sinisalo, die Begründerin der Literaturrichtung des „Finnish Weird“, entwickelt in ihrem skandalumwitterten Roman „Der Troll. Eine Liebesgeschichte“ aus dem Jahr 2005 genau dieses Szenario. Prompt wird in unserer mediensüchtigen Gesellschaft das Wesen aus dem Wald zum Opfer der Werbeindustrie, die ihr Fundstück aus der Wildnis unverschämt vermarkten will. Nichts widersteht dem Wohlstandsfieber der Gesellschaft. Der Liebhaber des Trolls, der Werbejournalist Angel, weiss, dass er dieses Wesen schützen muss. Es bleibt ihm nichts anderes übrig, als sich mit dem geliebten Troll erneut in den Wald zu flüchten. Die Zivilisation weiss nicht, mit unberechenbarer Wildnis umzugehen, welche tief verborgen in uns schlummert.

Armer Troll. Was bleibt bei solchem Schicksal seinen Artgenossen denn Anderes übrig, als sich ins „Netz“ der Asozialen Medien zurückzuziehen und dort zu jenen Trollen zu werden, vor denen alle sich so fürchten. Unentdeckt in den elektromagnetischen Feldern des Netzes führen die Bösewichte ein Leben, das ihnen von der Naivität furchterfüllter Gutmenschen eingeräumt wird. Wer nicht sehen will, wird Opfer. Schwäche und Unbedarftheit machen ber den Troll nur umso lüsterner. Von derart entfesselten Bösewichten berichtet Hvorecky in seinem 2018 erschienenen Roman:

Die Trolle sorgten dafür, dass das Netz immer mehr dem Sumpf der zornigen Seelen im fünften Kreis der Hölle ähnelte. Sie verloren den Sinn für das Mass. Aus Angst, Gehässigkeit, aus Rachedurst, aus Hass gegen alle anderen und gegen sich selbst.

Hovorecky, Michal: Troll.

Einige der Netzbewohner fürchten sich vor der Bedrohung so sehr, dass die eigenen Massstäbe verschwimmen. Vorbei mit der Komfortzone, auch im Internet begegnet man ab nun dem Leben.

Recherche:

  • Gotthelf, Jeremias: Die Schwarze Spinne.
  • Graf Arturo: Satan, Belzebub, Luzifer. 2009
  • Hvorecky, Michal: Troll. 2018
  • Larese, Dino: Der Teufel im Thurgau. In: Thurgauer Sagen, 1942
  • Sinisalo, Johanna: Troll. Eine Liebesgeschichte. 2005