Stardew Valley: Opener

Meine neuerliche Einreise aus Österreich in die Schweiz hat mir diesmal den Nachteil einer zehntägigen Quarantäne eingebracht, trotz meiner Erstimpfung, einem negativen Test 26 Stunden zuvor und dem ordnungsgemäss ausgefüllten Einreiseformular. Ein Grenzbeamter, der den ausgebeulten Mund-Nasenschutz sehr nachlässig trug, hat diese Erfordernis bei mir natürlich nicht überprüft, sondern sich erwartungsgemäss einer Rumänin gewidmet, die mit mir im grenzüberschreitenden Bus sass. Sie besass die Chuzpe, kaum Geld in ihrem Portemonnai zu haben und im Grenzbus ohne Ticket zu fahren. „Kein Ticket haben? Du jetzt aussteigen sofort!“ Meine österreichischen Identitätskarte nahm er kaum zur Kenntnis. Und weg war der Bus, nach Mostindien.

Lange Rede kurzer Sinn: Die Rumänin durfte die Schweiz nicht betreten und ich muss folgsam 10 Tage in der Wohnung herumsitzen, statt mich in der Natur herumzutreiben. Dabei zählt erst der Tag nach der Einreise als erster Tag der Quarantäne. Gedroht wird mit einer Busse von 10.000 Franken, auch eine Anmeldung bei der Gesundheitsbehörde Mostindiens ist erforderlich. Bund und Kanton sind letztendlich informiert, aber wen kümmerts eigentlich? Seit Beginn der Pandemie pendle ich regelmässig zwischen der Schweiz und Österreich: niemals wurde ich überprüft, ob ich auch die notwendigen Dokumente bei mir trage. Da drängt sich schon der Gedanke auf, ob geltendes Recht durch Nichtverfolgung der Behörden nicht zum toten Recht wird.

Ich will mich nicht beschweren, mich eigentlich nur entschuldigen: denn mein Leben ist plötzlich von Stardew Valley erfüllt. Nie hätte ich zu diesem sehr altmodisch anmutenden Computer Game gegriffen, denn Retro-Pixel-Games und Poin&Click sind eigentlich nichts für mich. Wäre da nicht die Öde des Zuhausebleibens, das nicht einmal Spaziergänge im Wald erlaubt! Und: Wäre da nicht der Artikel der New York Times in der letzten Woche gewesen, welche das Computer Game auf ungewöhnliche Weise feierte: Live Your Gay Millenial Pandemic Fantasy in Stardew Valley!

Zur Lore: Wer wollte nicht einmal auf einen kleinen Bauernhof in wunderschöner Landschaft ziehen, mit netten Nachbarn und in der Einfachheit des Landlebens? Die Idyle leben, und lieben, die es freilich nie gegeben hat? Seine Sentiments gegenüber Supermärktketten ausleben? Das Leben im Dörfchen im Griff haben? Geschenke machen und einen Partner kennenlernen? Warum auch nicht: ein wenig Eskapismus in Zeiten des öden Home Offices, des kasernierten Rentnerdaseins oder der eingesperrten Kindheit ohne Pèeer Group ist allemal eine Option! Einfach Stardew Valley („Sternschnuppen Tal“) spielen und in eine entspannende Arbeitstrance fallen, die sich von der nervenaufreibenden Belastung anderer Computergames wohltuend unterscheidet und kein bisschen langweilig ist. Über allfällige Amerikanismen des Spiels wird grosszügig hinweggesehen.

Der Zeitungsartikel in der NYT hatte das Spiel auf recht ungewöhnliche und auch charmante und selbstironische Weise als pastorale Flucht aus Zeiten der Pandemie gepriesen und dabei den Nagel auf den Kopf getroffen. Konfliktfreie Stunden tun gut. Und überdies: wo gibt es sonst Spiele, bei denen man auch gleichgeschlechtliche Partner wählen und sich selbst die passende Hautfarbe verpassen kann. Lena Wilson fasst zusammen:

The game’s wholesomeness is universally appealing, but its particular blend of same-sex romance options, anti-corporate sentiment and pastoral Zen makes it even more tailored to escapists like me — gay millennial urbanites stuck in an endless pandemic slog. I grew up thinking any adult could easily have access to the simple life.

Lena Wilson: Live Your Gay Millenial Pandemic Fantasy, 27.04.2021 in der NYT

Lesen, Kochen und Stardew Valley – so verbringt man als PensionistIn neben der ungeliebten Hausarbeit die Tage der auferlegten Quarantäne. Man/frau überlegt sich, ob man nicht auch so mal auf Probe einen gleichgeschlechtlichen Partner wählen sollte. Und man rätselt, woher man auf seiner Farm den Vogel Strauss nehmen soll, der gemeinsam mit einem selbst den Kopf in den Sand stecken wird angesichts so viel wohltuender Realitätsverdrängung.

Recherche:

Wer andere Beiträge zur COVIDOSE lesen möchte, und davon noch nicht genug hat, dem sei die Stille der Tage auf meinem anderen Blog empfohlen.