
Ja I han es Zündhölzli azündt
Manni Matter: I hab es Zündhölzli azündt. (Liedtext)
Und das het e Flamme gäh
Und i ha für d’Zigarette
Welle Füür vom Hölzli näh
Aber ds Hölzli isch dervo-
Gspickt und uf de Deppich cho –
Gottseidank dass i’s vom Deppich wider furt ha gno.
Manchmal erfahre ich Dinge über die Schweiz, die mich in meiner Zuneigung zu ihr tief verstören. Vielleicht ist daran auch nicht die Schweiz schuld, sondern sind es Phänomene europäischer Peripherie, die einen Städter verschrecken. Dieser ist zwar die Anonymität und Einsamkeit inmitten seiner Nachbarn gewohnt, das Menscheln im Dorfgasthaus ist ihm aber ein Greuel. In einer Metropole aufgewachsen, in Europa tätig gewesen und in Mostindien am Menscheln verkümmern – so soll die Biographie nicht enden! Möglicherweise erschreckt das Leben in Mostindien deshalb so, weil es so banal und ereignislos erscheint, dahinter aber die Katastrophe sich verbirgt. Und dann noch eines: Mit Gefahr und Willkür ist man als Städter wohl vertraut. Dass sie aber auch hier am Lande zwischen den idyllischen (und mit Pestiziden getränkten) Obstplantagen zuhause sein soll, das vermag ein Fremder schwer zu denken.
Dass die Schweiz in Politik wie Wirtschaft erschrecken kann, das wissen wir spätestens, seit wir die Bücher des Globalisierungskritikers Jean Ziegler gelesen haben, der sich zurecht über die Verhältnisse in seinem Land erregt. Nestle war das Fanal meiner Jugend, die Globalisierung kein Ruhmesblatt für die Eidgenossen. Eine Schweiz, über jeden Verdacht erhaben! Nein, beileibe nicht. Von Zieglers Büchern soll aber nicht die Rede sein. Wer die Lieder des Mani Matter wiederum kennt, der weiss, dass der Schweizer nicht „lieb“ oder verschroben ist, sondern auch grosses Potential zur Bösartigkeit besitzt. Kritik tut weh, aber danke dafür, Mani Matter! Auch von ihm will ich an diesem Ort nicht schreiben.
Ich beginne stattdessen im Metier der laufenden Bilder, mit der Eingangssequenz der Krimiserie Wilder. Sie hat den Schrecken, der von den Philistern dieses Landes ausgeht, wohl begriffen.
Auf Anregung einer Kollegin, die auf ihrem Reiseblog über den Kanton Jura und eine dort spielenden Schweizerischen Fernsehkrimi berichtet hat, bin ich auf die drei Steffeln von Wilder aufmerksam geworden. Während lighthouselizzy über die Schönheiten des Kantons Jura schwärmt und sie mit Erinnerungen an die Fernsehserie noch zusätzlich zu würzen vermag, bin ich von beiden, Krimi wie Landschaft, zunächst noch unbeeindruckt. Neugierig bediene ich playsuisse und werde fündig. Auch über seine Filmproduktion soll man ja bekanntlich das Naturell einer Nation kennenlernen können, denke ich. Insofern kann ich meine Seriensucht ab nun auch landeskundlich legitimieren.

Rosa Wilder, eine Beamtin der Kantonspolizei, reist in ihr Heimatdorf Oberwies, um sich von ihren Verwandten und Freunden vor ihrem Weiterbildungsaufenthalt in den USA zu verabschieden. Plötzlich fällt aus grosser Höhe ein Gegenstand auf ihre Windschutzscheibe; nur mit Mühe vermeidet sie, mit ihrem Auto von der Fahrbahn abzukommen. Nach einer Schrecksekunde sieht sie sich um und entdeckt einen makabren Fund: das Skelett eines Beines, das in einem Bergschuh aus Leder steckt. Ein Greifvogel muss es wohl auf im Flug fallengelassen haben. Nein, so denke ich, so beginnt keine Schweizer Fernsehserie zur Hauptsendezeit. Aber sie tut es doch. Noch wirkt der partielle Leichenfund mehr skurril als verstörend. Mit der knappen und ruhigen Art der Schweizer wird zunächst noch Contenance bewahrt. Die Kollegen auf der Polizeistation halten trocken fest, dass nicht mehr viel Fleisch am Knochen sei und der Wanderschuh am Knochenbein von der Firma Raichle stamme. Das sei noch Qualität gewesen, angesichts der chinesischen Importe heutzutage. Und wer wisse schon, woher der Vogel das Gnagi herhabe! Doch der Schrecken hat schon angeklopft an der Dorftüre und steht hämisch grinsend herum. Der Fund geht vorerst in die Autopsie. Er ist kein leeres Motiv.
Überhaupt ist diese Serie sehenswert. Insbesondere die eingeführten Charaktere sind skurril und holzschnittartig überzeichnet. Knorrige Menschen hanteln sich da im Originalton von einer Szene zur nächsten. Das fiktive Dorf Oberwies enthüllt langsam und quälend die Verbrechen seiner Vergangenheit. Stöhnend, ächzend und in schwer verständlichem Berntütsch ziehen die leidenden Personen den Plot hinter sich her. Kägi, der schräge Polizist der Bundespolizeikommission, sticht in diesem Schattenspiel auis der Provinz ganz besonders hervor: gebückt, fast missgestalt gibt er den Juppy, in ihm brodelt die Wut. Ein Wohnungsloser, ein Vagabund. Er lebt in einem stylischen Wohnwagen auf den Parkplätzen eines Ortes, der seine Seele dem internationalen Investment verschrieben hat. Gebaut werden soll ein Freizeitzentrum just an der Stelle, wo vor Jahren eine Gruppe von Jugendlichen bei einem (bewusst veranlassten) Lawinenunglück ums Leben gekommen sind. Die Bürgerversammlung wird beim Auftakt des Projekts von einem randalierenden Bauern mit seinem Schafbock unterbrochen. Weg mit dem ägyptischen Investment! Das sei wesensfremd, meint der gewaltbereite Eigentümer des Tieres zum schockierten Dorfestablishments. Desweilen irrt ein verwirrtes Opfer des Lawinenunglücks durch den Schnee und sucht, ihre verschüttete Jugendgruppe. Was aber leicht in eine Persiflage von Hinterwäldlertum hätte abgleiten können (und eine zeitlang dachte ich, es würde auch passieren), zieht mich langsam aber sicher in seinen Bann. Die Umsetzung des Drehbuchs ist streckenweise so gut gemacht, dass man das Strickmuster der nordischen Krimis, das hier ohne Zweifel bemüht wird, leicht vergisst und in den schwer erklärlichen Bann eines ländlichen Sittenbildes gezogen wird. Nichts mehr bleibt, wie es mal war, das mühsam aufgebaute Selbstverständnis der Bewohner erodiert von Minute zu Minute. In Staffel zwei hat man aus Staffel eins gelernt und geht sogar noch viel perfider vor: weniger knarrig geht es zu, die Treuherzigkeit spielt sich in den Vordergrund. Auch sie birgt ihren Schrecken. Sowieso lügt fast jeder, aus Not, versteht sich. Die Grundfeste schweizerischen Selbstverständnisses brechen nun vollständig zusammen. Polizistinnen werden zu finsteren Gefängniswärterinnen, Sägereibesitzer zu tragischen Vatermördern. Quo vadis, Svizzera? Die dritte Serie von Wilder nimmt das Schweizer Justizsystem ins Visier, spielt dort, wo es seine Verbrechen vertuscht hat. Die eigene Familie, der Kosmos eines Dorfes, die staatliche Verwaltung: immer weitere Kreise zieht das Schweizer Dilemma des Versteckens, Vertuschens, Verdrängens seine Kreise. Es wird brüchig im Land. Und was die 4. Staffel bringen wird, dran mag ich gar nicht denken.
Wem Leichenteile auf das Auto fallen, der reagiert zurecht alarmiert. Wem die Fassade der Wohlanständigkeit genommen wird, wird aggressiv. Dass das Unheil am Lande auf unerbittliche Art und Weise grassiert, vermag die Laune nicht zu heben, daher schweigt man verbittert und voll Angst. Einige von Martin Suters Romanen fallen mir ein, die im bürgerlichen Milieu mit ähnlicher Vehemenz den ganz normalen Schrecken des Alltags verfremden. So wird der Widerspruch literarisch sichtbar. Erst muss die menschliche Natur zum Possenspiel verdreht werden, damit ihre Beschränktheit und Grausamkeit sichtbar wird. In diesem Sinne fand ich die Eingangssequenz von Wilder von eindrücklicher Symbolik, weit über die Filmsprache und dem Entertainment der Serie hinaus. Was wird uns die unmittelbare Zukunft enthüllen, welchen verborgenen Sünden eines Volkes uns entdecken? Was tun wir, wenn sich der Himmel über uns auftut, ganz real und in Echtzeit?
Natürlich: das Leben ist kein Ponyhof, auch wenn dies hippe Eltern ihren missratenen Kindern gerne in die Wiege legen. Die aber klammern sich ans schöne Leben und werden enttäuscht neuerdings gerne zu Verschwörungstheoretikern. Sie verstehen die Welt nicht mehr. Wir Alte sind indes Kummer und Betrug gewohnt. Doch ist es schmerzhaft, lernen zu müssen, dass in der Wahlheimat es nicht zum Besten steht. Auf den Feldern der Bauern liegen die verdrängten Probleme, verkleidet als Pestizide, vergiftete Wiesen, hochgezüchtetes Nutzvieh, vergiftete Gewässer und unerhörte Mengen Plastikmüll. Ignoranz jedoch hilft nie. Müllsammelaktionen ganzer Schulklassen behübschen nur das Dorfmagazin. Es geht um eine gute Zukunft und um die Überwindung der schlechtgeführten und irregeleiteten Vergangenheit. Da gibt es auch für die saubere, idyllische und wohlanständige Schweiz keine Ausnahme. Die Natur ist krank und damit die ganze Schweiz. Das ist kein Nestbeschmutzen, keine linksliberale Propaganda, sondern Realität, nicht nur bei den Eidgenossen. Augen zu und durch, irren sich manche.
Schockiert war ich bislang über des Schweizer Menscheln in mehrfacher Weise. Über den Kriegsgewinner Schweiz in Zeiten des Nationalsozialismus wurden ja bereits von Historikern das Urteil gesprochen. Davon, dass man den Frauen im Kanton Appenzell Innerrhoden erst 1990 das Wahlrecht zugestand, ist in Europa immer wieder erstaunt die Rede. Und dass häusliche Gewalt bis 2004 kein Offizialdelikt darstellte, ist etwas, das ich bis heute nicht verstehen kann. Auch der Skandal um die Willkür und Rechtlosigkeit, mit der von der Behörde schutzbedürftige Kinder in Heime verbracht und dort aus Unmenschlichste behandelte, liegt mir schwer im Magen. Leichenteile regnen da vom Himmel, in steter Regelmässigkeit. Ein Land der Philister ist die Schweiz, möchte man meinen; eines das noch dazu, seine Gewlttätigkeit nur allzugerne verleugnet. Doch ist die Schweiz keine Festung mehr, wie uns die Kommentare des Herrn Blocher verkünden: sie ist kein Stand Alone, weder in Europa und schon gar nicht auf diesem Planeten. Die Welt geht auch die Schweizer an. Und noch viel schlimmer: sie sind ein verschwindend kleiner Teil von ihr.
Jetzt ist auch die letzte Festung der mühsam aufgebauten Fremdenverkehrsidylle gefallen. Die Schweiz ist nicht sauber, sie ist nicht schön: sie ist schmutzig und stinkt. Sie vergiftet ihre Kinder. CO2, Pestizide, Klimakatastrophe: all das ist auf der täglichen Traktandenliste. Selbst die Neue Züricher Zeitung berichtet von der grossen Vertrauenskrise dieses Landes, darüber, wie sehr die praktizierte Landwirtschaft das Image des Bauern zerstört. Sie titelt: Eigentlich ist es eine Liebesgeschichte. Doch dieses Land und seine Bauern sind sich fremd geworden. Denn die Bauern vergiften das Land und ihre Lebensmittel, sagen gar nicht Wenige in diesem Land. Doch die Bauern sind Täter und Opfer zugleich.
Da sind die Lügen, mit der mächtige Interessensgruppen den Schutz des Wassers, der Tiere und der Menschen verhindern wollen. Da tun sich rechte Politik, Konzerninteressen und ideenlose Bauernverbände zusammen, um zynisch und mit ungeheurem Propagandaaufwand die neuen Zeiten zu verhindern. Diese aber sind notwendig, um das Desaster auf unserem Planeten abzuwenden. Da gräbt sich der Konflikt zwischen verantwortungsvollem Umgang mit unserer Welt und der Profitgier einer hochintensivierten Landwirtschaft immer tiefer in die Böden dieses Landes. Jedem Bauernhof und jedem Dorf seine Propagandaplakate für eine vermeintlich faire Auseinandersetzung vor der Abstimmung. Nein, Nein und wieder Nein, tönt es übers Land. Der Bundesrat indes, der die Gesundheit seiner Bürger zu schützen hat, gibt auch klein bei: und empfiehlt ein Nein zur Rettung der Umwelt. Die Kampagne operiert mit Lügen, dass sich die Balken nur so biegen. Insbesondere die SVP nutzt den dabei gebotenen Populismus mit aller Vehemenz: Benzin und Diesel sollen nur mehr für die Reichen leistbar sein, die Lebensmittelproduktion sei gefährdet, das Land werde ans Ausland verkauft. Nein, nein, nein! Das Übelste an Rhetorik wird ausgepackt, Ressentiments werden bedient und das Volk betrogen. Denn alles soll so bleiben, wie es ist! Das dabei alles zugrunde geht, leugnet man, der Profitgier und des konservativen Starrsinns wegen. Dabei sind die Mythen der Pestizidindustrie so leicht zu entkräften. Man muss nur lesen, denken und handeln wollen. Doch diese Bewegung im Geiste ist dem Philister nicht zumutbar. Er nimmt hin und zuckt scheinbar demokratisch mit den Schultern. Wir werden sehen, wie das Volk entscheidet, beim ungleichen Kampf, am 13. Juni. Wenn wir unsere Bauern und unser Land lieben, stimmen wir gegen das Leben auf unseren Planeten. So einfach ist das, so wollen es Manche.
Zum Habitus der Verdrängung ein kleines Beispiel: Jüngst ist mir bei der Durchsicht der Ostschweizer Lokalblätter der Artikel eines Journalisten in die Hände gefallen, mit dem Titel Wieso findet die Gemeinde nichts? Die Toggenburger Zeitung berichtet, dass ein engagierter Bürger entdeckt habe, dass in Gommiswald im Toggenburg auslaufende Jauche ein Gewässer, nämlich den Attenbach vergiftet. Er bringt dies wiederholt zur Anzeige. Nichts geschieht. Die Polizei kann nicht handeln, denn die Gemeinde befindet, dass alles in Ordnung sei. Der Kanton braucht nicht handeln, denn es handelt sich um die Zuständigkeit der Gemeinde. Selbstverständlich ist der Redakteur seiner journalistischen Pflicht nachgekommen und kann bei einer Begehung den Skandal nur bestätigen. Nichts ist in Ordnung. Der Giftschaum ist mit freiem Auge sichtbar. Seitens der Gemeinde fallen die hinterfotzigen Sätze: „Das Gewässer mache einen guten Eindruck. Vom Auge sei keine Gewässerverschmutzung ersichtlich.“ Nichts geschieht. Warum? Weil nichts geschehen soll: so einfach ist das manchmal. Nichts geschieht zunächst, doch dann plötzlich handelt der Gemeindepräsident, Bruder des vermutlichen Verursachers. Penibel wird auch dies in der Toggenburger Zeitung festgehalten. Eine Chuzpe ist das, sagt man in Wien. Dann lieber: JA! JA! JA!
Sehr guter Beitrag! Ja, es stinkt zum Himmel hier, und das hat nicht aufgehört, seit die lauten Mahner Matter, Frisch und Dürrenmatt verstorben sind. Ich auch: Ja, ja, ja.
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