
Immer wieder kommen sie, diese stillen Tage, in denen die Welt im Zimmer versiegt und der Lärm, der von draussen hereinklingt, blosse Makulatur bleibt. Tausendmal gehört, daher einordenbar und reizlos: das Rumpeln der Müllcontainer, das aufgeregte Kreischen der Krähen, das Quietschen einer Schleifmaschine, unverständliches Stimmengebrabbel. Manchmal weint auch ein Kind. Endlose Versuche, einen Motor zum Laufen zu bekommen. Eine altgediente Klangtapete ist das da draussen: abgenutzt, vertraut und fast schon unhörbar.
Nichts lockt, nichts vermag die selbstgewählte Isolation zu brechen. Die Attraktivität der Welt, ihre Verführung und ihr Unheil gehen gegen Null. Man versinkt in sich wie in einen Traum, aus dem man sich nicht lösen will. Selbst Denken und Schreiben erlahmen. Eine breiige aber nicht unangenehme Müdigkeit legt sich über das Selbst. Es ist wie tiefer Schlaf, jedoch ohne seine kräftigende Wirkung. Die Existenz ist auf Null gestellt, die Erinnerung versiegt, Zukunft spielt keine Rolle.
Doch nie tu ich nichts in diesen Momenten, meist ist das Internet mein Begleiter, in seiner unvergleichlich nivellierenden und betäubenden Manier. Email checken, Blog checken, Nachrichten lesen, vielleicht auch ein Seriendurchlauf auf Netflix. Der Ablauf der evozierten Seiten, Bilderüberschwemmung und Augenlust, filmische Belanglosigkeien – all das ist von selber Qualität, wie die Tone von Draussen. Daten, Bilder, Töne – alles friert sich selbst ein. Einkaufen gehen: die Primitivität der Menschen ist enervierend. Spazieren gehen: langweiliges Draussensein auf immergleichen Wegen. Misanthrop zu sein kann lustvoll sein, doch nicht in solchen Momenten. Dann lieber zu Hause bleiben und nichts tun. Abhängen ist zwar ein Modewort aber treffend: die einzig gangbare Alternative an diesen Tagen.
Ich bezeichne einen solchen Zustand als „Weisse Leere“. Wie wenn die Sonne sich in den unbelichteten Film frisst und nichts zurücklässt als ein weisses Leuchten – so fühlt sich das an. Weiss verschlingt die Welt mit seiner Sterilität und Kälte. Nichts bleibt, nur das Oszillieren der eigenen Vitalfunktion ist merkbar. Mein Zustand erscheint wie eine tiefe Erschöpfung nach kräftezehrender Zeit.
Schon einmal habe ich versucht, diesen Zustand zu beschreiben, vor zwei Jahren in meinem Blog tinderness. Ich kam damals gerade von einer wunderschönen Reise aus Lappland zurück. Und plötzlich, aus heiterem Himmel, schlug es mir aufs Gemüt:
Doch dann setzt es aus in dir und du verweigerst dich, als der erste Morgen ausbricht. Nenn es Verweigerung oder Depression oder Zusammenbruch. Unter morgendlichen Schweissausbrüchen verfällst du in eine tiefe Ohnmacht, die drei Tage lang währt. Du kannst nichts anderes tun, als im Bett zu liegen. Eine Weiße Leere schützt dich vor den Ansprüchen des Lebens außerhalb deiner vier Wände. Du bewegst dich in Zeitlupe in einer Wanne aus weichem Gips. Erst dann, am dritten Tag nach deiner Rückkehr bist du fähig, dich wieder der Außenwelt zu stellen.
Tinderness: Die weisse Leere.
Aus so einer Tiefe aufzutauchen ist schwierig und erfordert Disziplin, in ihr zu versinken geschieht unmerklich. Doch auch diesmal muss ich mich wieder von diesen stillen Tagen lösen. Dazu gibt es letztendlich keine Alternative.
Ich versuche deshalb, mir die kommenden Tage vorzustellen: den Besuch in der Buchbinderei, Geburtstagsvorbereitungen, Reisevorbereitungen, Rückkehr in die Schweiz, Aufbruch zum Gehen im Gelände: für längere Zeit diesmal. All das könnte freudvoll vor mir liegen, wäre nicht die Weisse Leere. Doch ist immer nur von kurzer Dauer, dem Leben sei Dank dafür.
Als „rebooten“ bezeichnet man heute wohl einen derartigen Neubeginn: als wäre man ein Gadget, mit dem man sich nicht anders zu helfen weiss, als es auf den Fabrikszustand zurückzustellen.
eher eine graue leere.
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Weiss auf weissem Hintergrund lässt sich halt schwer darstellen ….
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Weiss ist nicht gleich weiss.
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Mir sind beim Lesen die Kino-Bilder von Hiroshi sugimoto eingefallen, Langzeitbelichtungen, die er in alten Kinos machte, während auf der Leinwand ein Film lief. Die Leinwand auf dem Foto schließlich weiß und leer. Und dennoch ein Sinnbild für festgehaltene Zeit. Es stimmt nicht, dass dieser Zustand einem Schlaf ohne erholsame Wirkung gleicht. Etwas in einem erholt sich – so wie eine Schultafel sich „erholt“, von der die Aufgaben eines Tages gewischt werden.
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Danke für den Hinweis auf Hiroshi Sugimoto. Das sind sehr prägnante Aufnahmen von der „Weisse Leere“ wie ich sie zu erklären versucht habe. Und ja: etwas erholt sich dabei! Schön, verstanden zu werden. 🙂
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Hat dies auf Blütensthaub rebloggt und kommentierte:
Wenn die Sonne sich in den unbelichteten Film frisst und nichts zurücklässt als ein weisses Leuchten
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