Johann Baptist Isenring (1798-1860): Zyklus Thurgegenden 1827: Wattwyl, Iberg und St.Maria.

Ich atme die Wolke ein und aus.

Meine Gedanken, die gehören mir.

Edo Popovic: Anleitung zum Gehen.

Weitwandern ist ein immer wiederkehrender Traum, dessen Erfüllung ich mir in meinem Berufsleben nur allzu selten erlauben konnte. Der „Rund um Wien“ – Weg, die Überquerung der Niederen Tauern, die Via Alpina durch Slowenien, eine Pyrenäenüberquerung, Teile des Schweizer Jakobswegs: das Alles und viele andere Touren mehr haben mich geprägt. Von Wegen träume ich immerzu. Gegangen bin ich bisher viel, über lange Strecken jedoch viel zu wenig. Einst fieberte ich dem Ruhestand entgegen, um meine Träume vom Vagabundieren Realität werden zu lassen. Ich wollte unbedingt über den Voralpenweg von Wien in die Schweiz gehen, um mich dabei langsam an den Übergang zur neue Wahlheimat zu gewöhnen. Dann aber drängte sich die Pandemie in unser aller Leben und meine Prioritäten waren andere: Heil bleiben, sich wegducken. Ich glitt also nahtlos vom Homeoffice in den Ruhestand und wartete ungeduldig auf die „Neue Normalität“, um den Traum vom Vagabunden weiterleben zu können. Kein Auftakt zu einem neuen Leben, sondern desillusioniertes Warten auf kommende Zeiten. Die stehen jetzt (hoffentlich!) vor der Tür.

Ich will nicht mehr bloss über die langen Strecken reflektieren, sondern sie auch erfahren und die Gedanken mit neuen körperlichen Erfahrungen füllen. Erleben statt Erinnern! Die Überwindung, am nächsten Tag den mühsamen Gang fortzusetzen, zählt ab nun wieder, auch die Freude auf neue Abenteuer. Weil ich mich aber ziemlich eingerüstet fühle und die letzten 14 Monate immer nur mit Tagesausflügem verbracht habe, starte ich nicht gleich auf dem langen Weg durch den Schweizer Jura. Der lange Atem und die kräftigen Gelenke müssen erst erarbeitet werden. Ein Probegehen über eine mehrtägige Distanz soll mich an die weiten Strecken gewöhnen. Toggenburg – Züricher Oberland – Tösstal: vertraute Gegenden wollen zum Eingehen beschritten werden. Ich habe vor, von Wattwil über das Schnebelhorn, Bichlsee, Winterthur und das Tösstal bis zum Einstieg des Weitwanderwegs im Jura westlich von Zürich zu gehen. Dafür habe ich 7 Tage Gehzeit veranschlagt. „Pomali“, hätte mir meine mährische Urgrossmutter Apollonia geraten. Es kann also auch gerne länger oder kürzer dauern.

Ich habe am Beginn der Wanderung jene Landstriche vor mir, die der von mir sehr bewunderte Johann Baptist Isenring (1798-1860) in zahlreichen Lithographien abgebildet hat. 1823 kehrt er von seiner Wanderschaft nach Wien und München nach St. Gallen zurück und veröffentlicht 1825-27 im Selbstverlag die aus 20 Blättern bestehende Aquatintaserie „Thurgegenden“ . Dazu gehört auch das am Beginn des Beitrags stehende Bild, Wattwayl, Iberg und St. Maria. Das sind die Stadt Wattwil, das Kloster der Engel St. Maria und die ehemalige Burg der Herren von Iberg, die wir betrachten. Dort will ich am Beginn meiner Reise hinauf, in die wellige Landschaft des Toggenburg, von Wattwil aus und zunächst zu Kloster und Burg – das Bild will ich ermessen bis hin zu den Bergzacken am Horizont. Auf diesem sanften Grat dann weiter, Richtung Zürcher Oberland. Das werden die ersten Etappen der Reise sein.

Die Romantik der Landschaftsbilder des Jean Baptiste Isenberg ist eine, die von heute ins 19. Jahrhundert projiziert wird, in ein armes, vom Hunger geprägtes Toggenburg: das ist mir schon bewusst. Aber trotzdem ist sie eine, die ich immer wieder auf meinen Wegen im Toggenburg zu entdecken glaubte. Die Werke des Künsters sind ein Grund für die Beachtung, die ich dem Toggenburg und der Thur bisher immer wieder geschenkt habe. Keine Landschaft ohne seine Menschen! Kein Toggenburg ohne Isenring. Zu den Gegenden, die ich in den nächsten Tagen durchwandern werde, gehören sie dazu: Jean Baptist Isenring, Ulrich Bräker, Idda zu Toggenburg und viele, viele andere, denen ich noch begegnen werde.

Eine Einstimmung für eine grössere Tour wird es also in den nächsten Tagen geben. Dabei möchte ich beobachten, wie es mit dem Gehen läuft, welche körperliche und moralische Wehwehchen auftreten, ob die Ausrüstung in Ordnung ist und wie ich dem doch recht unbeständigen Wetter begegnen kann. Ich werde wieder das Draussen Schlafen erproben, das Alleinsein, die Wanderlust und die Müdigkeit nach dem Tagwerk der Bewegung. Routine soll es werden, im besten Fall. Verirren will ich mich auch und auf gute Weise vom Weg abkommen. Doch sollten die Dinge wirklich schieflaufen, dann ist der nächste Bus nie weit, der mich nach Hause bringt. Es ist, mit Verlaub ein Privileg des Alters, vorsichtig zu sein und auf sich aufpassen zu dürfen.

Und zu guter Letzt muss noch ein Motto her, mit der ich meine Reise begleiten will:

Was mich betrifft, ich erwarte nichts von der Natur. Ich verweile einfach in ihr. Ich gehe und spüre die Erde unter meinen Füssen, ohne über den Ort nachzudenken, an den ich gelangen werde. Ich atme und beobachte die Gegend, die ich durchstreife. Das tut meiner Lunge, meinen Muskeln und meinem Kopf gut.

Edo Popovic: Anleitung zum Gehen.
  • Binder, Walter: „Isenring, Johann Baptist„, in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), konsultiert am 07.06.2021.
  • Popovic, Edo: Anleitung zum Gehen. 2009 und 2015.