
Rupert Davies, besser bekannt als Fernseh-Kommissar Maigret, wurde nach 52 Folgen von einem englischen Damenklub zum „vollkommensten Ehemann“ gewählt. „Dabei sehen mich meine Frau Jessica und meine beiden Söhne mehr auf dem Bildschirm als zu Hause“, schmunzelt Davies, von dem Maigret-Autor Georges Simenon sagte, er sei wirklich die beste Personifizierung seines pfeifenrauchenden Kommissars. Davies wurde für diese Rolle auch als bester Schauspieler des Jahres ausgezeichnet. Übrigens: privat raucht „Maigret“ nur Zigaretten – niemals Pfeife.
Jugendzeitschrift Bravo, 1966
Die Sterne standen ursprünglich nicht günstig für mein Verhältnis zu Kommissar Maigret. Irgendwann in den Sechzigerjahren des vorigen Jahrhunderts hatte ich die BBC Verfilmungen mit Rupert Davies über mich ergehen lassen müssen, auf dem Schwarz-Weiss Fernseher meiner Grossmutter. Es war für den aufgeweckten Jugendlichen eine mediale Zumutung. In unauslöschlicher Erinnerung blieb das an der Wand entzündete Streichholz, der nachdenklich an der Pfeife saugende Opa-Polizist und die vom ARD der britischen Serie verpasste neue Titelmelodie: „….. dara da tamm tam, da taram tam, da taram dam, da darada …..“. Diese wurde sogar auf eine Platte gepresst und erklang im Radio, landauf, landab: pseudofranzösische Akkordeonmusik. Gassenhauer in deutschsprachigen Landen waren sie, sowohl die gesamte Fernsehserie als auch ihre Signation. Man war wild auf den Kommissar und den Exotismus eines Krimis, der letztendlich doch nur ein Stück ideologische Heimat war: bescheuert wie Sauerkraut auf Gran Canaria. Noch heute ist es mir unbegreiflich, wie eine britische Fernsehserie sich so sehr zum Inbegriff deutschen Spiessertums stilisieren konnte.

Eingebrannt in mein Gedächtnis ist die Skepsis gegenüber Maigret bis heute, wie ein masochistisches Emblem, dem man immer wieder neu aufsitzt. Die ersten Fernseherfahrungen waren für mich in der Enge des Wiens der beginnenden Sechzigerjahre prägend. Das Medienzeitalter war gerade angebrochen. Im Kontrast zu dem erwähnten medialen Langweiler R. Davies stand eine andere Serie in Schwarz-Weiss aus Grossbritannien, die zur selben Zeit in Österreich ausgestrahlt wurde: „Mit Schirm, Charme und Melone“ (The Avengers). In ihr entfalteten eine erotisch überaus ansprechende Emma Peel und ein schrulliger John Steed ihre Abenteuer in der skurrilen Welt der Geheimdienste: mit Kühnheit, Eleganz und Ironie in einem internationalen Kontext. Frauen durften stark sein, gewaltbereit und sexuell aggressiv. Ein wenig BDSM war wohl auch dabei, als dezenter Hintergrund und Muntermacher für ein „neues“ Publikum. Männer durften hingegen in dieser Serie auch schwach, zurückhaltend, modisch elegant und schrullig-verzopft sein. Die Rollenbilder schwankten, die sexuelle Revolution warf ihre Schatten voraus. Das war schon mal was. Meine Grossmutter war mehr als skeptisch aber gewährend, ich selbst liess keinen Dienstag Abend aus, um mir den Kick aus einer anderen, aufregenden Welt zu geben.
Daneben nahm sich der von BBC produzierte und vom ARD übernommene Kommissar Maigret im Wiener Haushalt wie ein Ladenhüter des Zeitgeists längst vergangener Tage aus. Er passte gut in deutsche und österreichische Haushalte, die sich in die postnazistische ideologischen Defensive der Nachkriegszeit begeben hatten: Duckmäusertum und Verlogenheit dominierten, besonders was die eigene Lebensgeschichte betraf. Instinktiv fühlte man, wie das Drehbuch die verlogene Moral der damaligen Gesellschaft kopierte. Die Enge und das Zerrbild einer kleinbürgerlichen Welt wurde dabei von Regisseur und Drehbuchautor bedenkenlos in Szene gesetzt. In einer kläglich ärmlichen und für die Kameraführung gerade noch funktionierenden Enge von Kulissen erschien mir „Kommissar Maigret“ als Kammerspiel der Vorurteile: über die Polizei, die Kriminellen, Frauen im Allgemeinen, Juden, Schwule und Randgruppen. Auch wenn sich das bei Maigret manchmal ebenso bedrückend liest, die Fernsehserie beschränkte sich störrisch auf die dümmlichen Wiederholung patriarchaler Befindlichkeit weit hinter das bürgerliche Weltbild Simenons. Als junger Mensch hatte man bald die Nase voll davon. Ein ältlicher, schwerfälliger Herr werkelte an komplizierten Fällen herum, langsam und betulich, mit bedeutungsvollem Genuckle an einer überdimensionalen Pfeife, die wie ein Phallus aus seinem Mund erwuchs. Die rauchte er so, wie wir sie als Jugendliche Pfeife rauchten: angeberisch, bedeutungsvoll, wichtigtuerisch, Intellekt und Überlegenheit vortäuschend – das alles begleitet von darstellerischer Impotenz. Und dann noch das Schneckentempo des Filmes! Langweilige Rekonstruktionen uninteressanter Mordfälle, garniert mit bedeutungsvollem Nicken, moralinsaueren Kommentaren, schlechter Schauspielerei und väterlichem Gehabe. Dialoge und Szenen dieser Serie waren gegenüber der Vorlage durchwegs verschlimmbessert, sollte ich erst kürzlich konstatieren.
Nicht dass ich damals Maigret gelesen hätte und damit medienkritisch hätte urteilen können. Es war das Bauchgefühl des gegen seine Verhältnisse protestierenden Jugendlichen, das mich bewog, mich trotzig von derartigen Fernsehsendungen abzuwenden. Schlimmer waren nur die deutschen Serien „Der Kommissar“ (ab 1969) und „Derrick“ (ab 1974) oder die Blockwartserie „XY Aktenfall ungelöst“ (ab 1968) – alle drei ein Affront für eine beginnende und rasant wie radikal verlaufende Jugend. Kurzum, Rupert Davies‘ Maigret war mir unerträglich, das Serien – Kammerspiel ein Greuel und die Handlung blamierte sich durch die Allüren kleinbürgerlicher Drehbuch- und Regiearbeit. Britische Steifheit und die herrschende Moral der Fünfziger- und Sechzigerjahre herrschten unumschränkt – Langeweile war noch die harmloseste Bezeichnung, die ich für Kommissar Maigret bereithielt. Nachkriegszeit auf ewig, das sollte nicht sein, wenigstens nicht für mich!
Mittlerweile beschleichen mich aber Zweifel, ob in meine Abneigung gegenüber Maigret nicht auch ein wenig jugendliche Unbedarftheit gemischt war. Denn die durch Maigret verbreitete Langsamkeit und Fadess der Aufklärung eines Falles stiess auf ein Mindset, das die Beschleunigung und den Aktionismus liebte: Dinge, die ich heute wohl zu Recht kritisiere. Im bewegungslosen Wien lange vor dem Fall des Eisernen Vorhangs war die Dynamik wohl ein Gebot der Stunde.
Wie dem auch sei! Nach mehr als fünfzig Jahren stosse ich wieder auf Maigret, nachdem ich ihn so lange Zeit links liegen gelassen hatte. Eines meiner Lieblingsblogs war schuld daran, denn es weckte meine Neugier. Ich begann Simenon erstmals zu lesen (!) und war beeindruckt. Kognitive Dissonanz vom Allerfeinsten! Maigret als Lektüre war ein überraschend beeindruckendes Erlebnis, seine Langsamkeit in der Lösung eines Falles, seine Hinwendung zu Opfern und Tätern, seine Bedächtigkeit: das alles spricht mich nun verstärkt an. So begann ich meine Lektüre mit dem von Frau Hartwig empfohlenen Buch „Maigret und der verstorbene Monsier Gallet“ (Monsieur Gallet, décédé, 1931), und schloss daran einen anderen Roman, ebenfalls aus der Frühzeit des Simenon’schen Maigret Sujets, an: „Maigret und Pietr der Lette“ (Pietr le Letton, 1931). Zwei aufrüttelnde und leicht dissonante Leseerlebnisse in ungelenker Brillianz der Erzählung. Ich beginne den Eindrücken und Verurteilungen aus meiner Jugend teilweise abzuschwören und seufze bekümmert darüber auf, wie sehr eine dümmliche Verfilmung zum falschen Zeitpunkt ein lebensbegleitenden Vorurteil auslösen kann.
Begleitend zu meiner Lektüre begann ich über Simenon und Maigret zu recherchieren. Erst kürzlich waren ja die Rechte für die Übersetzung ins Deutsche vom Diogenes Verlag zum Schweizer Verlag Kampa gewandert. Seit 2018 veröffentlicht der Verlag eine Übersetzung der Maigret-Romane ins DeutschE. Eine, so weit ich es beurteilen kann, gut gelungene Arbeit. Offenbar ist diese Neuauflage auch ökonomisch sinnvoll, sowohl was den Buch- und Hörbuchverkauf, insbesondere aber auch die Filmproduktion betrifft. Mit über dreissig Schauspielern, die den Kommissar mit Pfeife gaben, ist Maigret auch ein Held von Fernsehserien in aller Welt. Schauspieler wie Jean Gabin (oh ja!), Bruno Cremer (na ja!), Heinz Rühmann (oh, nein) oder Rowan Atkinson (irritierend!) haben seit den 50er Jahren Maigret gegeben, entweder in gut verkauften Fernsehserien oder ernstzunehmenden Filmen. Derzeit ist durch Red Arrow Studios eine erneute Verfilmung in Planung.
Maigret, der Dauerbrenner. Maigret und kein Ende. Auch ich kann hier noch keinen vorläufiges Ende für meine erwachende Aufmerksamkeit für Georges Simenon finden. Aber nicht nur Simenon, sondern auch die entsprechenden Verfilmungen haben es mir angetan. Derzeit verbringe ich meine Zeit, mir verfügbare Streifen von Maigret au Picratt’s (Maigret und die Tänzerin) zu Gemüte zu führen. Es ist, als müsste ich meine jugendlichen Vorurteile gegenüber dem Flagship aus Belgien mit einem Male kompensieren. Eine Art Sühne also, um geläutert in die verschworene Fangemeinde eingelassen zu werden. Doch davon in einer der nächsten Beiträge.