Simone Kappeler: Sonnenblumen am Boden liegend. Kugelshofen, 2017

Eigentlich war ich gestern ins Naturmuseum Thurgau nach Frauenfeld gefahren, um mir dort die Ausstellung über die Rückkehr des Wolfes in die Schweiz bzw in den Thurgau anzusehen. Die Ausstellung wird in Mostindien breit beworben und hat mich letztendlich neugierig gemacht. Das Thema ist aufgeheizt, wurde ein medialer Dauerbrenner, denn die einheimische Jägerschaft hat Konkurrenz bekommen. Aber wie so oft war das eigentlich Interessante nicht das, was man bewusst aufsucht, sondern das, dem man durch Zufalll begegnet. Eine Aussstellung über eine alte fotographische Technik sollte einem „bösen“ räudigen, aus Italien zugewanderten Wolf den Rang ablaufen. Schönheit geht vor Sensation, immer noch!

In einem kleinen Nebenraum des Museums fand ich eine Ausstellung der Künstlerin Simone Kappeler aus Frauenfeld vor, die einige ihrer Arbeiten zur Cyanotypie zeigte und ihren Entstehungsprozess auch kommentierte. „Pflanzen im Licht“, heisst die Ausstellung , die bis Mitte Juli verängert wurde. Knapp zehn Bildern hängen in einem kleinen Raum, in wunderschönes Cyanblau getaucht, zweifarbige Negative, die seltsam schillernd und den teilweise abgedunkelten Raum erleuchteten. Mir war, als hätte sie mit ihren Bildern, einige jener Augenblicke eingefangen, die eine Ahnung von Unendlichkeit und Unsterblichkeit vermitteln – in Blau- Weiss getauchte Strukturen aus der Natur um uns. Das war schön und sehr eindrücklich: etwas, das ich noch nie so gesehen hatte. Dazu kam noch, dass kein anderer als ich im Museum war und ich in aller Ruhe inmitten des Ausstellungsraums sitzen konnte, um die Bilder eingehend zu betrachten und den Kommentaren von Frau Kappeler zu ihren eigenen Werken zu lauschen.

So erzählt Frau Kappeler über den Entstehungsprozess ihrer beiden Sonnenblumen – Bilder. Sie berichtet vom Abenteuer des Belichtens in freier Natur mit dieser ältesten aller fotographischen Techniken. Sie wäre fasziniert gewesen von der Schönheit und Charakteristik von Sonnenblumen, hätte daher einige Felder ausgemacht, die sie später mit dem von ihr beschichteten Papier und der Staffelei aufsuchte. Als sie dann vor Ort war, habe sie bestürzt wahrgenommen, dass zwei Felder bereits abgeerntet worden wären. Nur ein drittes Feld wäre übrig geblieben. Dort hätte sie ihre Staffelei aufgestellt, um plötzlich zu bemerken, dass am anderen Ende des Feldes die Erntemaschine ihre Arbeit bereits aufgenommen hatte. Der Bauer habe kaum von ihr Notiz genommen, als sie nervös mit der Belichtung ihres Bildes begonnen hatte. Er habe Kopfhörer aufgehabt. Die Musik hätte trotzdem einen Höllenlärm gemacht. Ein Wettlauf mit der Zeit begann. Die Belichtung wäre ihr gelungen, sie habe sogar nach der vollzogen Ernte übrig gelassene Sonnenblumen belichten können. Diese wären auf dem querformatigen Bild zu sehen.

Das Bild stellt für mich die Vergänglichkeit des Augenblicks und sogleich die Unendlichkeit der Schönheit dar: es ist der hier geschilderte Entstehungsprozess, welcher mich sehr berührt hat. Die Fragilität des Belichtungsprozesses trifft auf die Brutalität der Ernte und nur für einen kurzen Augenblick darf die Schönheit bestehen. Dann ist alles dem Schneidemesser zum Opfer gefallen und dem unausweichlichen industriellen Verwertungsprozess zugeführt worden.

Simone Kappeler: Sonnenblumen, Wilde Möhren, Nachtkerze und Färberkamille. Kugelshofen, 2017.

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