
Das erste Mal sah ich die fremdartige Schönheit auf einem Blog. Jemand hatte das Bild einer Schwalbenschwanzraupe gepostet und sich – soweit ich mich erinnern kann – über deren Unappettitlichkeit mokiert. Auf Facebook hat sogar einer der „friends“ vorgeschlagen, das ekelige Ding dem bösen Nachbarn in den Garten zu werfen. Ich habe das Tier wunderschön gefunden, aber sachlich uninteressiert weitergeklickt. Fort, vorbei, vergessen. Manchmal aber muss man wohl zu seinem Glück gezwungen werden.
Nur ein paar Tage später kam meine Frau nach einer Inspektion unseres Gemüses und unserer Pflanzen auf der Terrasse zurück und schlug, wie das Jahr vorher, Raupenalarm. Überraschenderweise erwog sie aber, die von ihr gefundenen Raupen nicht zu entsorgen, sondern sie auf unserem Fenchel weiterleben zu lassen. Dem geht es ohnehin nicht besonders, hatten doch die extrem häufigen Regenfälle der letzten Woche unseren grossen Gemüsekasten ständig geflutet und das Wachstum der Pflanzen fast zum Erliegen gebracht. Im Schlamm wächst es sich denkbar schlecht. Ich hätte im Frühjahr Mühe darauf verwenden sollen, (1) die Erde zu wechseln und (2) für einen guten Abfluss zu sorgen. Jetzt wars eindeutig zu spät. Aber den gezählten 19 (neunzehn!!!!) grossen und kleinen Raupen kampflos das Feld zu überlassen, wäre nun doch zu viel des Guten gewesen.
Wir schlugen im Internet nach und fanden folgende, sehr aufschlussreiche Website, die sich der Aufzucht von Raupen widmet, insbesondere jener der Schwalbenschwanz – Raupe. Wir würden, das war die gute Nachricht, das Getier in ein schützendes Raupenhaus übersiedeln können und es später, wenn es sich (hoffentlich) als Prachtexemplar entpuppt hätte, in die freie Natur entlassen. Dann wäre noch immer das Problem mit der weitgehend fehlenden Blumenwiese zu lösen, aber widerspruchsfrei ist selbst Tierschutz nicht mehr. Möge im Notfall von den frischgeschlüpften Schmetterlingen zumindest eine Ruderalfläche gefunden werden, die ihr Weiterleben gewährleistet.
Die schlechte Nachricht war: ich würde ein Raupenhaus basteln müssen; einen Rahmen aus von pestizidfreiem Holz, bedeckt einem kleinmaschigen Fliegengitter, das den Kasten umschliessen würde. Dies alles zum Schutz gegen allerlei Ungetier (etwa: die böse Schlupfwespe), dass sich an den wehrlosen Raupen gütlich tun würde. Dem Pensionisten ist das flexible Basteln kein Problem und das nicht perfekte Werk in wenigen Stunden vollendet. Die Raupen indes waren von der frischgebackenen Züchterin in Minutenschnelle auf ihren Fenchelstengeln übersiedelt worden, das Fenchelkraut in kleine (oben mit Pastikfolie verschlossene) Gläser mit destilliertem Wasser gestellt und los gings mit der Raupenzucht. Wer mehr darüber wissen will, dem sei oben zitierte Website sehr ans Herz gelegt.
Doch: wir hatten die Rechnung ohne den Wirt gemacht, den die kleinen und schönen Dinger legten eine Esswut an den Tag, die ihrer ständigen Verwandlung und der dafür benötigten Energie geschuldet ist. Wo aber den ständigen Fenchelkraut – Nachschub sicherstellen? Schmetterlinge sind monophag, d.h. sie fressen offenbar nur das, worauf sie geboren wurden. Bald würde es mit dem bei uns verfügbaren Fenchelgrün zu Ende gehen. Also nix wie auf die Suche gehen, nach Bauern, die das Kraut ihrer Fenchelfrüchte entbehren wollen. Doch auch das hat die Züchterin schon bald organisiert.
Im Laufe meiner begleitenden Recherche zu Raupen wurde mir bewusst, dass offenbar deren Zucht nicht so sehr etwas für den Freizeitgestaltung von Erwachsenen zu sein scheint, als vielmehr für den Unterricht in Kindergarten und Grundschule. LehrerInnen ok, aber staunen und lernen tun noch immer die Kids. Im gleichen Zug stosse ich auf ein Kinderbuch, das wegen seiner wunderbaren Zeichnungen und der genial prägnanten Sprache einige Berühmtheit erlangt hat: Die kleine Raupe Nimmersatt des kürzlich im Mai verstorbenen Eric Carle. Das Buch hat mittlerweile schon 52 Jahre auf dem Buckel, wurde in 65 Sprachen übersetzt und ist in mehr als 50 Millionen Stück erschienen (siehe Wikipedia). Ich war bei seinem Erscheinen im Jahre 1969 offenbar schon zu alt, um mich am Buch erfreuen zu können.
Im Alter soll man sich ja zum Kinde rückentwickeln, behauptet zumindest jeder, der gerne im Gespräch vom Klischee profitiert. Gerne nehme ich dies für mich in Anspruch: denn die Freude am Schönen des Alltags und am Wachsen von Leben ist gross: noch immer und schon wieder! Danke für das Erlebnis, liebe Raupenzüchterin!
Recherche:
- Eric Carle. Die kleine Raupe Nimmersatt. Kinderbuch 1969 f.
Wohl kaum ein Kinderzimmer, in dem die kleine Raupe Nimmersatt nicht ein Zuhause gefunden hat. Das mit dem Zuhause für die Raupen aus der Natur ist weniger einfach. Vor vielen, vielen Jahren hatte ich unversehens die Wohnung voller Pfauenaugen, geschlüpft aus den Puppen, die ich nichtsahnend mit dem Heu für die Meerschweinchen meiner Jüngsten hereingetragen hatte. Irgendwann waren sie dann alle durch die weit geöffneten Fenster davongeflattert – aber wohl in keine allzu rosige Zukunft mitten in der Stadt. – Ich wünsche viel Erfolg mit der Raupenzucht.
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Auch auf dem Land, zumindest dort wo ich wohne, gibt es kaum Blumenwiesen, wo sich der Schwalbenschwanz ernähren kann. Vielleicht sollte ich dann doch ins nahe Naturschutzgebiet fahren und die schönen Geschöpfe dort freilassen. Was für eine Welt!?! Danke für die guten Wünsche, sie werden sehr benötigt!
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Ich kann es gerade im Moment so gut nachfühlen. Die Jüngere meiner Tochter hat in der vergangenen Woche drei Tage lang eine Fledermauskind unter Anleitung einer Fledermausstation gepflegt und gehofft, dass die Mutter es nachts abholt. Am vierten Tag hat sie es dann auf die Station gebracht – ganz traurig, denn nur 20% der verlassenen oder verlorenen Jungtiere können auf diese Weise gerettet werden.
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Früher fanden die Schwalbenschwanzraupen Nahrung in den traditionellen Wiesen auf der Wilden Möhre. Heute ist meist ein Garten mit Karotten, Fenchel und Dill die Rettung. In unserer kleinen Wiese vegetieren zwei Wilde Möhren, trotz gelegentlichem Freijäten sind sie nicht gross und stark geworden. Wenn ein Schwalbenschwanz vorbeiflattert, hoffe ich immer, dass er eine passende Pflanze findet und freue mich, wenn ich eine schöne Raupe entdecke. Die Eier legt der Schwalbenschwan einzeln ab, so dass der „Schaden“ meist klein ist.
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Das mit der Wilden Möhre auf der Wiese habe ich nicht gewusst, ich wüsste sie nicht einmal zu identifizieren. Ich wünsche erfolgreiches Schwalbenschwanzeier Suchen!
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Schön geschrieben, macht Spass zu lesen! 😀
Vielen Dank für die Erwähnung meiner HP, es freut mich natürlich sehr, wenn die Infos darauf eine erfolgreiche Raupenaufzucht ermöglichen. Ich hoffe, es klappt weiterhin alles gut und Sie können bald die ersten Schwalbenschwänze in die Freiheit entlassen. Ein Glücksgefühl, jedoch von meiner Seite her stets begleitet von etwas Wehmut und leiser Sorge, wie es den Faltern da draussen in der Freiheit ergehen möge.
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Herzlichen Dank für Ihren freundlichen Kommentar!
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