Elisabeth Nembrini: Optimist. Vom Ostufer des Ziegeleiweihers aus gesehen.

Über die Gemeinde Eschlikon habe ich ja auf diesem Blog schon mehrmals geschrieben, einmal als ich den eigensinnige Joseph Büchi würdigte und einmal als ich mich um die Ziegeleiweiher auf dem Gemeindegebiet kümmerte. Nun schickt mich die Gemeinde auf einen künstlerischen Orbit entlang der Gemeindegrenzen. Neugierig wandere ich auf ihm. In mehreren Folgen werde ich davon berichten.

Das Kunstprojekt Orbit führt mich entlang der Gemeindegrenzen rund um die Gemeinde Eschlikon. Sie ist der zentrale Ort, um den von den offiziellen Gemeindeverantwortlichen eine Umlaufbahn in Kraft gesetzt wird. Damit wir das auch richtig begreifen, hat man für das aufgestellte Leitsystem einen Astronauten in voller Adjustierung gewählt, der als Hintergrund auf den Hinweisschildern posiert. Zuviel des Guten. Wir befinden uns zudem auf dem sgn. „Grenzweg“, der die angrenzenden Gemeinden symbolisch zum Jenseits verdammt.

Dieser 15 km lange „Grenzweg“ wurde anlässlich der Enststehung der Politischen Gemeinde Eschlikon aus den Ortsteilen Eschlikon, Wallenwil und Hurnen im Jahre 1997 geschaffen und 2021 erneuert. Nun mag man zu Grenzwegen stehen, wie man will: wohl werden sich die Gemeindeverantwortlichen bei seiner Entstehung etwas gedacht haben. Forscht man in den Annalen von Eschlikon, war das Verhältnis zwischen Eschlikon und der benachbarten Gemeinde Sirnach nicht immer konfliktfrei. 1979 etwa führte die Abstimmung über die Positionierung der Schulgemeinde Egg fast zu Raufhändeln zwischen Angehörigen der beiden Gemeinden, die in den jeweiligen Gaststätten Sieg bzw. Niederlage feierten. Der Konflikt war nur ein Beispiel für das angespannte Verhältnis zwischen beiden Gemeinden. So ausgeprägt waren die Positionen, dass es bis 1997, also fast 20 Jahre dauern sollte, bis die „Gemeindegrenzen“ und „Schulgrenzen“ einvernehmlich geregelt waren. Scheinbar ist es bei einem politisch-administrativen „Neubeginn“ notwendig, sich gegenüber den Anderen abzugrenzen, insbesondere dann, wenn man sich seiner selbst vergewissern will und das Verhältnis zueinander bislang von Unklarheiten geprägt ist. Geht es um „Grenzen“, steht das Trennende (und nicht das Verbindende) im Vordergrund. Die eigene Identität zu stärken, indem man sich von anderen abgrenzt, ist ein Mechanismus, der in der Geschichte der Menschheit oft erfolgreich aber auch mit fatalen Auswirkungen beschritten wurde. Interessant wird es nun aber, wenn an der Grenze „Kunst gemacht“ wird, wenn der Eschliker Grenzweg zur künstlerischen Umlaufbahn wird. Denn Kunst kann wohl vieles bewirken: sie kann trennen, verbinden oder den gegenwärtigen Zustand transzendieren, auf ihre eigentümliche, ganz spezifische Weise. Zu einer politischen Manifestation reicht es dabei allemal. Waren sich die teilnehmenden KünstlerInnen dessen bewusst?

Die Gemeinde Eschlikon hat das heikle Unterfangen gewagt: Grenze und Kunst zusammenzubringen, zu etwas, das man auch im Sinn der conditio humana als versöhnlich bezeichnen kann. Ein Projekt wurde in Auftrag gegeben, das Künstlerinnen und Künstler aus der Ostschweiz versammelt, um an 13 Stationen entlang des bestehenden (und nun auch erneuerten) Grenzwegs in die Landschaft einzugreifen. Kuratiert wurde die Ausstellung im Freien von den Ausstellungsgestaltern Widmer und Theodoridis, die einst auch den Betonturm der Recyclingsanlage in Eschlikon als „künstlerischen Horst“ bespielt haben.

Eigentümlich ist, dass das Kunstprojekt „Orbit“ den Begriff „Grenze“ ad absurdum führt und mit der Thematisierung der Landschaft das Politische in eine versöhnliche Erfahrung transzendiert wurde. Der Blick richtet sich von der politischen Verfasstheit auf eine regionale, was auch mit der Einladung an ostschweizer Künstler und Künstlerinnen zum Ausdruck kommt. Ein wenig hinterfotzig ist dies allerdings auch, denn so wird dezent aber wirksam kluge Werbung für Eschlikon gemacht: als moderne, kunstsinnige und aufgeschlossene Gemeinde. Da soll sich Sirnach mal anstrengen, möchte der böswillige Zyniker meinen.

Sagen wir also: die Kunst transzendiert die Grenze, zumindest für die Zeit der Ausstellungsdauer von Mai bis Anfang Oktober 2021. Begeben wir uns also auf den Grenzweg um der Kunst willen, die vergessen, lässt auf welchem Territorium wir uns zu beiden Seiten der Umlaufbahn bewegen: Kantönligeist hin, gemeindebewusstsein her. Der Zugang zu den Kunstwerken ist kostenlos.

Objekt 1 – Elisabeth Nembrini: Optimist

Traditionsgemäss beginne ich am südlichen Ziegeleiweiher, bei der Installation von Elisabeth Nembrini mit dem Titel: Optimist (download Werkbeschreibung pdf). Wie heisst es in der Kurzbeschreibung nüchtern:

Ein Schwarm kleiner roter Fahnen steht über dem Wasser. Er zuckt bei jedem Lufthauch und wenn der Wind dreht, kommt Bewegung in die ganze Gruppe.

Ausstellungsleaflet 2021: Elisabeth Sembrini – Optimist
Elisabeth Nembrini: Optimist. Vom Südufer des Ziegeleiweihers aus gesehen.

Doch da ist eideutig mehr. Ich umrunde den Ziegeleiweiher fast zur Gänze, um immer wieder neue Bilder des Objektes aus unterschiedlichen Standorten einzufangen. Ich kreise um die Weihermitte: ein Orbit im Orbit. Eine seltene Ruhe herrscht, es ist schwül, nach Tagen der andauernden Regenfälle. Die Natur atmet durch, ein leichter Wind weht. Das Objekt zittert unruhig. Ich setze mich ans Ufer des Ziegeleiweihers, und den Blick fest auf die rote Erscheinung vor mir gerichtet, schreibe ich auf, was ich wahrnehme:

Fähnchen, Richtungsweiser. Tiefseemolluske. Was sonst noch alles? Aufgetaucht aus den Untiefen des morastigen Bodens. Seltsam entrückt flattern die roten Blätter im Wind, spiegeln sich auf der Wasseroberfläche, tauchen unter, zerfliessen in ihr. Wie ein seltsames Tier in Rot aus den unentdeckten Tiefen eines Ozeans schwebt es vor mir. Ein zartes Lebenszeichen aus Zeiten, in denen hier Menschen Torf- und Ziegel stachen. Als Erscheinung war das Wesen auch zugegen, als die Böden zu rutschten begannen und in sich selbst zusammenfielen. Denn dieser Ort ging schon einmal unter. Verschwunden war das zarte Rot in der grossen Flut, nun ist es wieder erschienen, wenn auch nur für kurze Zeit. Tiefer Respekt ziemt sich vor der Erscheinung im Wasser, die unerreichbar, seltsam entrückt erscheint. Ein Fabelwesen, eine Täuschung der Natur. Als ich vom gegenüberliegenden, leicht erhöhten Ufer den Ponton erblicke unter den dünnen Stangen, die die kleinen roten Segeltücher tragen, sinke ich enttäuscht dahin, der Illusion der absoluten Schönheit beraubt. Noch ein kurzes Flirren nehme ich auf, dann verlasse ich den Ort.

tinderness: optimist, 2021
Elisabeth Nembrini: Optimist. Vom Südufer des Ziegeleiweihers aus gesehen.

Recherche:

  • Gemeinde Eschlikon: Frauen und Männer aus Eschlikon, Hurnen und Wallenwil erzählen von vergangenen Zeiten. 2003
  • Leaflet: Orbit. 13 Kunststationen. Grenzweg Eschlikon. 9. Mai – 3. Oktober 2021.