
Die hier beschriebenen 13 Kunstwerke sind Teil des Kunstwegs „Orbit„, eine Freiluft-Ausstellung, die entlang der Gemeindegrenzen von Eschlikon (TG) bis Anfang Oktober 2021 zu sehen ist. Ich wandere von einem Objekt zum anderen, um zu erfahren, welchen Eindruck diese hinterlassen. Letztes Mal habe ich Optimist von Elisabeth Nembrini aufgesucht, nun weiter zu den nächsten Werken.
Objekt 2 – Nicolas Vionnet: Persinette, descendez vos chevaux que chez monte.
Website des Künstlers – Werkbeschreibung (pdf Download)
Vom Ziegeleiweiher nehme ich den leichten Anstieg über das Feld des nahegelegenen Bauernhofs Riet und dann, über eine kleine Holzstiege ins Stockenholz, zu einem kleinen Waldstück, in dem sich eine recht frequentierte Waldhütte befindet. Kurz davor sehe ich die Hinweistafel zum Projekt. Das Objekt muss sich in unmittelbarer Nähe befinden.
Aus einem Vogelnistkasten hängt ein überlanger, geflochtener blonder Haarstrang: ein kurioser Anblick.
Ausstellungsleaflet 2021 – Nicolas Vionnet: Persinette, descendez vos chevaux que chez monte.

Wieder mache ich mir Notizen – vor und nach dem Fotografieren, das sich schwierig gestaltet ob des ungewöhnlichen Motivs. Merkwürdigerweise stimmen mich meine Verrenkungen heiter, dafür ist wohl der verschmitzte Optimismus verantwortlich, den das Werk ausstrahlt. Stehend tippe ich in das Notizbuch auf meinem Smartphone:
Ein Zopf: Mittelalter, Minnesang, Münchhausen. Nordische Kampfmaiden. Oder, wie vom Künstler entschieden, das Märchen von Rapunzel ? Unwillkürlich muss ich lächeln ob meiner Assoziationen. Ich habe zunächst lange gebraucht, um ihn zu finden, den Zopf, weil ich mich in Augenhöhe umgesehen habe. Als ich aber dann den Kopf hob, schwebte er in luftiger Höhe vor mir, bewegt von der sanften Brise im Wind. Nun blicke ich angestrengt hinauf, auf den Zopf einer wohl riesigen Maid, der sich aus dem winzigen Vogelhäuschen zwängt. Ringsum frisch ausgelichteter Wald. Hier befindet sich ein kreatives Grenzland zur Kunst: Denn da hängt nicht nur das vom Zopf usurpierte Vogelhaus, sondern wenige Meter weiter ist auch sgn. Kettensägekunst zu sehen. Sie wurden weit vor der Intervention von Rapunzel fertiggestellt, zwei Skulpturen, die aus dem Stamm geschnitten wurden. Der Waldauz ist inzwischen beschädigt. Immer wieder muss ich lächeln, wenn ich bemerke, wie hier das Augenzwinkern über die Stille und Ernsthaftigkeit des Waldes obsiegt. Ein leichter, luftiger Ort, ein positiver Ort, trotzdem er in unmittelbarer Nähe einer Recyclinganlage liegt. Die Luft ist erfüllt vom Brummen der LKW – Motoren, die unweit von hier gewaltige Mengen an Müll abladen. Mein heiterer Aufenthalt aber endet nicht mit dem Lärm, sondern mit Unverständnis: Weshalb, bitte, soll die Installation laut Katalog an die Sage der Idda von Toggenburg erinnern, die von ihrem Mann aus Eifersucht aus dem Turm einer Burg geworfen wurde? Ich vermag diesen Hinweis nicht zu enträtseln, der mir hier kuratorisch nahegelegt wird.
tinderness: Persinette.

Objekt 3 – Almira Medaric: From the Earth
Website der Künstlerin – Werkbeschreibung (pdf Download)
Der Marsch geht weiter, in Richtung Wallenwil. Kurz vor dem Platz der Kapelle, deren bockigem spiritus rector ich auf diesem Blog meinen Respekt gezollt habe, führt der Weg rechts ab zum Areal der hiesigen Schule. Davor steht an einem wunderschönen Platz eine Weide mitten in einer ausgedehnten und buntblühenden Trockenwiese. Die Schülerinnen haben hier auf einer romantischen Sitzbank einen QR-Code angebracht, der wohl Anweisungen zu einem Geländespiel enthält. Wenig später, an meinem Zielort werde ich dann einen weiteren finden. Mein aufflackernder Optimismus, der sich durch diese Zeichen am Weg nährt, erlischt jedoch bald, als ich an penibel geführte, kahlgeschorene und totgepflegte Gärten mit ihren trostlosen Eigenheimen vorbeikomme. Es lebe die Versiegelung und der Herr unseres Lebens: das Auto. Dann, am Ende der Siedlung endlich wieder natürlich wirkendes Ambiente. Ich gelange zu einer Sitzbank mit Baum, von dem man eine gute Aussicht auf die unten im Tal führende Strasse und die gegenüberliegenden Hügel hat. Ein Mann verrichtet dort Dehnungsübungen. Hier stosse ich, im Schatten des Baumes, auf die gesuchte Skulptur.
Die Skulptur ist ein Erinnerungsstück an die Lehmziegel-Produktion in Eschlikon. Die Anordnung als Quadrat ist eine Referenz an das Symbol der Erde.
Ausstellungsleaflet 2021 – Almira Medaric: From the Earth

Schon beim mich Annähern an den kleinen, luftig gemauerten Grundriss, denke ich, dass hier wohl der falsche Erinnerungsort ist. Die Reminiszenz hätte wohl anderswo lokalisiert sein müssen, dort, wo der Lehmabbau in Eschlikon tatsächlich stattgefunden hat, in unmittelbarer Nähe der Ziegeleiweiher. Dort ist man, bei den jüngsten Ausgrabungen zur Re-Naturierung der Ziegelteiche tatsächlich auf eine Reihe von alten Ziegeln gestossen. Das wäre doch die kongeniale Verbindung. Für mich stimmt der Ort einfach nicht, ganz andere Kontexte assoziere ich deshalb mit diesem Ziegelbau:
Ich habe auf der Informationstafel mit seinem irritierenden Astronauten gelernt, dass das Quadrat ein Symbol für die Erde sei, seine Seiten wiederum die vier Himmelsrichtungen bezeichnen. Das irritiert mich bis zur Ungläubigkeit Wie kann eine geradlinige Form Symbol für die Gesamtheit der Natur sein, in der es keine parallelen Linien gibt? Aber ich begreife rasch: dies hier ist ein Sinnbild für all das, was uns in einer planmässigen Ordnung sehen will. Also eher: Away from the Earth, hin zur Beengtheit und Klaustrophobie moderner architektonischen Räume. Die Künstlerin ist ein Geometry Lover. Gegensatz zur Landschaft, nicht Einheit mit ihr! Das passt gut zur vorher erfahrenen, sehr schweizerischen Siedlungsgestaltung. Ein wenig Luftigkeit aber gibt es letztendlich doch, das legt uns die Anordnung der ungeprägten Ziegel nahe. Die Anmutung von archaischem Bauen, etwas, was auf die Luftigkeit jener Kornspeicher verweist, die erbaut wurden, als die Menschen sesshaft wurden. Ackerbau, Getreidespeicher, Hitze, trockener und kühlender Ziegel. Dann auch noch die Erinnerung an meine Urgrossmustter (die „Bra-Babuschka“ aus Mähren), die jene Lehmquader tastsächlich gestochen hat, mit der Teile der Wiener Ringstrasse gebaut wurden. Wieder irritiertes Kopfschütteln meinerseits. Das Objekt lässt meine Aufmerksamkeit immer wieder von ihm abgleiten, so als müsste ich vor einer Zumutung fliehen: vor der Zumutung der Vermessung unserer Welt. Indes, diese Skulptur will doch nichts anderes, als uns an den Ziegelabbau in Eschlikon erinnern und uns ein Symbol für Festgefügtes sein. Oder war da doch etwas anderes?
tinderness: From the Earth

An Rapunzel dachte ich schon beim ersten flüchtigen Blick auf die Fotos.
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Es ist schon merkwürdig. In meiner Kindheit war das Märchen von Rapunzel nie präsent, und auch später begegnete ich ihm nie. Endlich, als ich davon las, war es mir immer sehr obskur erschienen, sich auf dem Zopf eines Menschen zu ihm emporzuhanteln, noch dazu auf jenem einer Geliebten. Das entsprach in seiner Kuriosität der Geschichte vom Lügenbaron Münchhausen. Zu alt für ein Märchen? Wohl schon, zumindest bei diesem. Vielleicht auch deshalb das Lächeln, ein Be-Lächeln möglicherweise?
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Als Kind fand ich die Vorstellung auch ausgesprochen schmerzhaft und den Prinzen betrachtete ich als sehr rücksichtslos. Nun soll es rücksichtlose Prinzen ja gar nicht so selten geben, und mit dem Erlernen physikalischer Gesetze dämmerten mir praktische Lösungen, wie man die Zugkraft, … Ich erspare Dir die Details. Mein Lieblingsmärchen war es auch nie. Mein Lieblingsmärchen war kurioserweise das „von einem der auszog, das Fürchten zu lernen“.
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