
Also fahre ich mit dem einer Strassenbahn ähndelnden Zug durch Mostindien zu einer Ausstellung, die landauf und landab beworben wird, und hoffe hier mehr über den Wolf zu erfahren: Der Wolf – wieder unter uns. Sonderausstellung im Naturmuseum Thurgau. Ich erwarte, dass es auf eine engagierte Weise passiert, die für das Recht der Natur und den verantwortungsvollen Umgang des Menschen mit dieser eintritt. Was ich aber vorfinde, ist ein bis zur Grenze des Erträglichen bedächtiges kantonales Museum, das sich seiner Verantwortung für den öffentlichen Diskurs komplett entzieht. Zaghaft und gleichzeitig auf die Sensationen im Publikum schielend, hat es eine durchschnittlich schlechte Ausstellung aus einem anderen Kanton, dem Naturhistorischen Museum Freiburg übernommen: das wars auch schon. Wäre da nicht die Cyanotypie – Ausstellung im selben Haus gewesen, ich hätte die Fahrt nach Frauenfeld bereut. Denn zu überdidaktisiert, langweilig und neutralistisch- ängstlich ist aus meiner Sicht diese Nicht-Replik auf eine aktuelle Diskussion.
Im Wesentlichen besteht die Ausstellung aus vier Teilen: Einer Abteilung über die Ausrottung des Wolfes in der Schweiz, eine über die Wiederkehr desselben, d.h. seiner Einwanderung aus dem angrenzenden Italien und ein Ausstellungsteil, der sich mit der Biologie des Tieres beschäftigt. Der vierte und kleinste Teil beschäftigt sich mit den Spuren des Tieres im Thurgau. Das ist, neben der Zurverfügungstellung des Raumes die Eigenleistung des Naturmuseuums Thurgau. Zu den gegenwärtigen Diskussionen über das Auftreten des Wolfes oder über die Abstimmung zum Schweizer Jagdgesetz im Jahr 2020 finden sich keinerlei Hinweise. Auch über das Washingtoner Artenschutzabkommen, bzw. der Berner Konvention, dem die Schweiz beigetreten ist und das den Wolf als gefährdete Art unter Schutz stellt, hört man nichts. Doch wer Dinge verschweigt, kommuniziert trotzdem. Denn konfliktbereinigt stellt das Museums das Auftreten des Wolfes als quasi sozial-neutrales Phänomen dar, so als stünde er und seine Wiederkehr in den Alpenraum nicht bereits unter öffentlicher Aufmerksamkeit. Der kulturelle Aspekt und die gesellschaftliche Relevanz des Themas in einer Zeit des fortgesetzten Artensterbens bleibt in der Ausstellung völlig aussen vor. Als hätten die staatlichen Institutionen und damit auch die Museen keine Verpflichtung zum Diskurs und zur Aufklärung der Öffentlichkeit! Das Museum nimmt dazu keine Stellung, es ist als existierte der Wolf im luftleeren Raum. Feige verstecken sich die Ausstellungsverantwortlichen hinter dem fadenscheinigen Vorhang einer schein-neutralen Institution und vermeiden den Konflikt mit einem Teil ihres Publikums. Sie Beschränken sich auf Biologie und Geschichte, und das wars. Auch die zuvorderst vom Wolf betroffenen Landbesitzer und Jäger kommen nicht zur Sprache: von den Naturschützern ganz zu schweigen.
Dass das Schweigen des Museums über die öffentliche Diskussion und das Recht des Tieres auf Leben und Lebensraum kein Zufall ist, sondern bewusst geplante Strategie einer verantwortlichen Leitung, das gibt auch Direktor Hannes GESSLER in einem Interview mit Thurgaukultur gerne zu. Für ihn hat das Museum KEINE Haltung zum Für und Wider um den Wolf. Vielmehr habe es die Haltung, dass sie die Haltungen ihrer Besucher zulässt (sic!). Wie sollte ein Museum, frage ich mich, Meinungen ihres Publikums verhindern können? Das Museum solle seiner Meinung eben keine Position einnehmen, weil man sonst das Publikum beeinflussen würde, meint hingegen der Direktor. Nur bei der Evolutionstheorie hätte das Museum eine Meinung: Darwin dürfe nicht geleugnet werden. Schon allein, dass dieser Satz gesagt wird, ist eine demokatiepolitische und wissenschaftskritische Zumutung sondergleichen.
Diese hahnebüchenen Behauptungen könnte man im besten Fall als Konsequenz der veralteten Position interpretieren, die Museen als neutrale und vorurteilsfreie Kultureinrichtungen sieht, welche Wissen in Form allgemeingültiger Wahrheiten vermittelt: als Autorität, von einer neutralen Warte aus, zum uninformierten Besucher hinunter. Solcherart agierende Museen hinken aber nicht nur dem aktuellen museumskritischen Diskurs rettungslos hinterher, sie bewegen sich auch ausserhalb die gesellschaftliche Auseinandersetzung, deren Teil sie naturgemäss sind. Sich hinter einer neutralistischen Haltung zu verstecken, heisst auch, Dinge zu verschweigen, zu denen Staat, Kanton und Gemeinden per Gesetz zu stehen und Position zu beziehen haben, für aktive Ökologie sowie engagierten Arten- und Herdenschutz. Das stünde einem Naturmuseum wohl an. Dem verweigert sich aber die Leitung des Museums mit Bestimmtheit und starrsinnigem Stolz. Kuratorische Haltungen wie die folgende sind hierorts nicht gefragt, das „lernende Museum“ ungeliebt. Der Standard musealer Verantwortung und kuratorischer Sorgfalt liegt woanders.
Die Ausstellung ist ein Format, das durch Kontraste und Entgegensetzungen im Raum Neues schafft. Sie kann Selbstverständlichkeiten hinterfragen, Kontroversen initiieren und vermeintliche Evidenzen hinterfragen. (…) Überhaupt sind Museen als öffentliche Einrichtungen aus meiner Sicht in der Pflicht, sich zu positionieren, zu ihrer eigenen Geschichte wie auch zu aktuellen gesellschaftlichen Diskussionen und Ereignissen. Und darin müssen sie eine ganz neue Relevanz entfalten.
Friedrich von Bose: Das „lernende“ Museum. Experiment und Risikobereitschaft in der kuratorischen Praxis.
Keine Relevanz, auf keinen Fall, ist die Position in Thurgaus Naturmuseum. Sich schweigend auf eine Nichtposition zurückzuziehen, ist vielmehr die Devise. Wäre da nicht das Publikum! Die Jagd auf das Publikum, insbesondere in Zeiten der Pandemie muss trotz aller fadenscheinigen Neutralität dennoch betrieben werden. Deshalb kann auch dieses Museum nicht auf die Emotionen und Sensationen verzichten, die das Thema Wolf auslöst, auch wenn es sich in den arroganten Elfenbeinturm der Meinungslosigkeit zurückgezogen hat. Denn schon das Werbeplakat der Ausstellung legt uns nahe: Der Wolf hat den Thurgau erreicht, er lebt nun mitten unter uns! – Zu zeigen, wo dies tatsächlich passiert sei, erhöhe die Konkretheit für den jeweiligen Besucher, meint Direktor Geissler. Zeigen wir also den Leuten, dass sie jederzeit mit dem Wolf zu rechnen haben. Aber Meinung haben wir dazu keine!
Obwohl die Ausstellung damit wirbt, von der Ankunft des Wolfes im Thurgau zu erzählen, ist gerade dieser vierte Teil auf eine bescheidene und lieblos gemachte Powerpoint Präsentation und eine Zeitleiste mit Skelettfragmenten eines frühen und des zuletzt erlegten Wolfes reduziert. Es gibt über den bösen Wolf im Thurgau nämlich schlicht und einfach wenig zu erzählen! Welche Fakten können denn überhaupt zweifelsfrei vermittelt werden? Dass seit ….. ganze drei Wölfe gesichtet worden waren? Dass der letzte müde, kranke Wolf wegen Krankheit (Räude) erschossen werden musste? Dass man Einzelgänger nur durch Zufall gesichtet habe? Dass es offenbar kantonales Raubtiermonitoring nicht gibt? Dass man auf das Auftreten des nächsten Wolfes mit leichtem Gruseln warte? Dass man eigentlich nicht wisse, ob erneut ein Wolf die Kantonsgrenzen überschritten habe? Welche Relevanz haben all diese Indizien, ausser dass sie andeuten, dass auch Mostindien von der Wolfspräsenz nicht aussen vor gelassen wirde? Ist bitte all dies museumsrelevant?
Zusammenfassend muss man also der Ausstellung ein schlechtes Gesamturteil ausstellen, vor allem dann, wenn man neue Einsichten von ihm erwartet und nicht nur das, was ohnehin im Internet verfügbar ist: rascher, kritischer und kontroversieller. Hier in diesem Haus aber werden weder Selbstverständlichkeiten hinterfragt, noch Kontroversen angesprochen. Nichts was man ohnehin schon irgendwo gelesen oder gehört hätte, ist hier zu finden. Das ist schade und für einen mit öffentlichen Geldern subventonierten Betrieb einfach zu wenig. Zudem versucht ein derartiges Vorgehen die Auseinandersetzung mündiger Bürger mit dem Thema zu verhindern, durch bewusstes Vorenthalten relevanter Positionen im gesellschaftlichen Diskurs. Ob das Beamtenmentalität, Mutlosigkeit, Kalkül oder perfide Absicht ist, das mag wohl jeder selbst zu entscheiden. Ich rate für verregnete Wochenende zu relevanteren und spannenderen Veranstaltungen. Oder einfach ein Buch zu lesen. Auf den Wolf vor der Haustier kann noch lange gewartet werden.
Recherche:
- KORA: 25 Jahre Wolf in der Schweiz. Eine Zwischenbilanz. Juli, 2020. (pdf-Download)
- Thurgaukultur.ch: Wir müssen lernen, mit dem Wolf zu leben.
- Wölfe in der Schweiz (Streaming Playsuisse), 50 min.
Als „Tanz mit dem Wolf“ kann man diese Ausstellung dann wohl eher nicht bezeichnen, sondern muss annehmen, dass Beuys‘ „Coyote, I like America and America likes me“ zwar das Thema verfehlt aber die Ausstellung dennoch bereichert hätte. – Nebenbei: Das oben ist wirklich eine Kinderzeichnung? Erstaunlich!
LikeLike
Schön, diese Assoziationen! Was die Kinderzeichnung betrifft: es gibt eine Ecke in der Ausstellung, wo Kinder lesen und zeichnen können. Und auch eine sehr versteckte Ecke, wo mehrere Kinderzeichnungen hingen, darunter auch diese. Interessant war, das es dort zwei thematische Gruppen gab: Der Gute und der Böse Wolf. Letzterer natürlich in der Überzahl.
LikeGefällt 1 Person