Bregenzer Bucht: Blick auf den Bodensee

Aus Gründen, die für diesen Blog nicht von Belang sind, muss ich in regelmässigen Abstand nach Bregenz reisen: eine Stadt, an die mich durchaus angenehme Berufserinnerungen binden, die ich aber sonst ein wenig disparat und unrund finde, besonders zur Zeit der Festspiele. Dieses Jahr dominiert die ziemlich skurrile Skulptur eines Kopfes die Seebühne, frau gibt Rigoletto. Auch die Touristen sind noch schnell vor dem Beginn der vierten Welle (Delta, glaube ich) wiedergekehrt: viele Schwaben, einige Ostschweizer und das gemessene Grüpplein kulturreisender Österreicherinnen mitsamt ihrer politischen Entourage. Auch der Landeshauptmann, der österreichische Kanzler und der Bundespräsident sind zur Eröffnung am Mittwoch angereist. Letzterer betont engagiert und auch ein wenig hilflos sein Plädoyer zur Bekämpfung der Klimakrise, „in die wir immer tiefer hineinrutschen„. Er spricht dabei von den „Menschenpflichten„. Und ergänzt, dass jeder Anlass der richtige Anlass sei, darüber zu sprechen. Ich tue mir schwer, dies als blosses Lippenbekenntnis abzutun.

Über dem Bodensee kreist ein Zepellin, der von Friedrichshafen Kurs auf die Bregenzer Bucht nimmt. Ein teurer Ausflug, um dieses Geld könnte man fliegend andere Kontinente bereisen: eine Anstrengung, sich vom Durchschnittstourismus abzugrenzen, aber allemal. Und dann noch das Eventboot mit dem prahlerischen Namen „Sonnenkönigin“: ein geschmacklos – überdimensionales und monströses Hochseeschiff, das völlig unangebracht das Binnengewässer durchpflügt und sich störend und protzig vom Seehorizont abhebt. Man ist versucht, an die unsägliche deutsche Serie „Traumschiff“ zu denken. Und dann noch der weisse, überdachte Bootssteg, an dem Prosecco und andere Festgetränke für die abendlichen Schlenderer angeboten werden. Das alles gilt es zu erdulden, kommt man im Juli oder August nach Bregenz.

Man sieht, Bregenz ist nicht so meine Stadt: zu viele geldverwöhnte Angeber, zu viele Möchtegern – Kulturschaffende, zu viele aalglatte PolitikerInnen, zu viele dumbe Touristen; aber viel zu wenig von den Leuten, die tatsächlich hier wohnen und ihrem Leben nachgehen. Ein wenig eine Stadt, die sich in den Ausverkauf begeben hat: schnell abcashen im Juli und August, aber eigentlich die Touristen verachten, die einem das alles hier antun. Auch ein Rummelplatz der Eitelkeiten, die sich am Ufer des Sees und in der Altstadt tummeln.

Doch die Stadt hat zwei Museen, in die ich regelmässig (und gerne) wiederkehre: auch zu Festspielzeiten sind sie mehr leer als voll. Aber das macht sie für mich auch attraktiv: wenn draussen am See und in der Altstadt das Highlife wabbert und die leeren Gespräche die Akustik der öffentlichen Räume und der Konditoreien verpestet, passieren hier drinnen in der Kühle der Räume die wesentlichen Dinge des Lebens: das gemessene Nachdenken über Es – von wenigen, die in diese modernen Kirchen geflüchtet sind vor dem Treiben der Freizeitindustrie. Diesmal ist für mich das Vorarlberg Museum an der Reihe, mit der Ausstellung „Nino Malfatti: Im Grossen und Ganzen“.

Nino Malfatti: Zeit vom Es. Frischer Morgen, 2021

Ich bin wegen der Nino Malfatti hier, angeblich ist dies die grösste Werkschau, die bisher von ihm gezeigt wurde. Mich haben die Teaser seiner Bergbilder angezogen und gleichzeitig abgestossen. Malfatti, ein bekennender Bergsteiger aus Tirol, hat sich seit Jahrzehnten nur mehr dem Malen von Bergen gewidmet, mit Ausdauer, Verve und auf sehr hohem technischem Niveau. Er fotografiert auf seinen Touren und malt, was er gesehen und fotografisch festgehalten hat, in seinem Studio nach. Vergessen wir die herkömmlichen Bilder aus dem Alpenraum mit seinen zum Klischee verkommenen „malerischen“ Bergen, vergessen wir die verlogenen Fremdenverkehrsprospekte, die mit den ewiggleichen Bergsujets tatsächlich Touristen anlocken können! Denn was Malfatti malt, ist purer Berg, reduziert auf seine Form: Material aus erratischem Stein, grellem Licht und zwiespältigen Farben. „Ich male keine Bauern, sondern Formen“, soll der Tiroler Maler Albin Egger-Lienz von seinen Bildern gesagt haben. Dasselbe mag für die Berge von Nino Malfatti gelten. Rund 90 Werke werden im Atrium des Museums präsentiert, von jedem Stockwerk aus hat man einen unterschiedliche Blickwinkel auf die Exponate. Ich setze mich im vierten Stock des Museums auf die gepolsterte Sitzbank, direkt gegenüber den roten Felsstrukturen seiner Rouissillon -Serie aus den Achtzigerjahren und beginne zu schreiben:

Ein erster Eindruck: Wie beunruhigend, diese Berge, wie bestürzend ihr Leuchten und ihre Formensprache doch sind! Aber zu uninsparativ, kaum wenig über das Gegenständliche hinausgehend, erscheinen mir die Werke. Ein virtuoses Spiel mit Formen und Farben jedoch, immerhin. Als einer, der oft in die Berge gegangen ist, kann ich natürlich mit der Formensprache des Gebirgs und seiner Rezeption etwas anfangen. Erinnerungen steigen hoch. Diese aber sind aber weniger an konkrete Handlunngen als an flüchtige Assoziationen geknüpft: Anstrengung, Ernst, Gefahr, und, man wagt es kaum zu sagen: Kameradschaft. Denn Berge hatten für mich nie etwas von leicht verdaullicher Romantik, sie waren sehr oft bedrohlich, oder mit den Worten Nino Malfattis: bestürzend. Der Ton seiner Bilder trifft also etwas Zentrales. Aber etwas wehrt sich in mir, ihnen zu verfallen. Sie sind zuviel von Ehrfurcht vor der Natur, von der Endlichkeit des Lebens und von Gott als Schöpfer. Naturgewalten erdrücken die die Ratio, scheint mir. Zu naturalistisch und heroisch erscheinen mir die Bilder. Vielleicht sind das alles nicht nur meine Klischees, vielleicht sind es Klischees, die diese Art von Bildern automatisch hervorrufen müssen? Ein wenig erinnern mich die Bilder an den Heimatkult des Nationalsozialismus und der rechten Ideologien der Nachkriegszeit. Dort aber, wo das Malen der Gesteinsformationen ins Abstrakte „hinüberrutscht“ und die verwendeten Farben fast expressionistisch klingen, gefallen mir Malfattis Gemälde. Hier schimmert Wahrheit durch. Es werden Flächen gemalt und nicht Berge und das macht sein Werk auch zu einem abstrakten Abenteuer.

Lächeln muss ich allerdings, als ich die wunderschönen Holztreppen mit seinen zum Atrium offenen Etagen hinaufsteige, fast wie ein Bergsteiger, der sich noch dazu der ausliegenden Fernstecher bedienen kann, um die Bilder/Berge zu sich heranzuholen. Ich mag Augenzwinkern und vor allem das Spiel des Kurators mit dem Besucher und der Distanz und Nähe, Unmittelbarkeit und Unerreichbarkeit der ausgestellten Objekten.

tinderness: Nino Malfatti
Nino Malfatti: Im vierten Stock des Vorarlberg Museums. Blick ins Atrium. 2 Bilder der Rouissillon-Serie. 1986/87

Doch ich bin ungerecht: kurz vor dem Schreiben dieses Beitrags lese ich ein Interview mit Nino Malfatti aus dem Jahr 2015, das er der Süddeutschen Zeitung gegeben hat. Darin erklärt er, warum er lange Zeit Angst gehabt hätte, Berge zu malen und sich stattdessen lieber auf Felsen konzentriert habe. Sie wären ideologisch unverdächtiger gewesen:

Vorher habe ich es auch regelrecht abgelehnt. Mir war das im negativen Sinne zu pathetisch. Wir wissen ja, was vor allem in den Dreißiger- und Vierzigerjahren des 20. Jahrhunderts mit der Verballhornung der Heimatgefühle passiert ist und dass die Berge ein ganz wichtiger Aspekt der Propaganda waren. Aus diesem Grunde – ich bin 1940 geboren – hatte ich als Künstler richtig Angst vor Gipfeln und dieser ganzen hehren Welt. Ich wollte nicht missverstanden werden, aus ideologischen Gründen. Anfangs habe ich auch wirklich nur die Strukturen von Felsen gezeichnet, keine Landschaft, keine Gipfel.

Die Angst vor dem Gipfel. Interview mit Nino Malfatti, Süddeutsche Zeitung vom 27.5.2015

Ich komme deshalb nach langem gedanklichen Hin und Her zu dem Schluss, dass man bestimmte Dinge einfach nicht zeichnen/malen kann, ohne in Gefahr zu laufen, auch ideologisch missverstanden zu werden. Klare Worte sind dann wichtig. Die Gefahr bleibt zumindest so lange erhalten, bis man den Gegenstand malerisch de-konstruiert hat, sodass seine „Missbildung“ zum Symbol für die kritische Distanz zur möglichen Bedeutung hat. Zur Dekonstruktion hat sich Nino Malfatti aber in seinen Berggemälden nur allzu selten durchringen können. Die romantische Liebe eines Bergsteigers zu seinem Ambiente dekonstruiert eben nicht, sie bewahrt das Gegenständliche, das ihn so in seinen Bann schlägt, liebevoll auf. das ist, fürwahr, verständlich.

Ob ich zum Besuch der Ausstellung raten würde? Auf jeden Fall, denn Malfattis Malerei berührt auf jeden Fall: ob mit oder ohne Missverständnisse, bis 3. Oktober 2021 im Vorarlberg Museum in Bregenz!

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