Die hier beschriebenen 13 Kunstwerke sind Teil des Kunstwegs Orbit, einer Freiluft-Ausstellung, die entlang der Gemeindegrenzen von Eschlikon (TG) bis Anfang Oktober 2021 zu sehen ist. Ich wandere von einem Objekt zum anderen, um zu erfahren, welchen Eindruck diese hinterlassen. In den vergangenen Tagen habe ich bereits folgende Ausstellungsobjekte aufgesucht: (1) Optimist von Elisabeth Nembrini, (2) Persinette, descendez vos chevaux que chez monte von Nicolas Vionnet, (3) From the Earth von Almira Medaric, (4) Welcome to the Jungle von Ursula Palla, (5) Splice von Sonja Rüegg, (6) Le mouvement végétativ von Victorine Müller, (7) Tetrasphereline von Christoph Rütimann, (8) W.A.S.P. von Guido von Stürler und (9) Aurum von Joelle Allet.


Geprotzt wird auch in Mostindien gerne, trotz der sprichwörtlichen Zurückhaltung der Schweizer. In Dussnang etwa finden wir ein weisses Haus, das sich dem Märchenstil Floridas verpflichtet hat und mit seinen weissen Mauern, Ballustraden und dem extrovertierten Zuckerbäckerstil bei mir entschiedene Abneigung erzeugt. Was bitte, haben Palmen und Bougainvilla mit der Landschaft des Tannzapfenlandes zu tun? Das ist eine Frage, die man wohl stellen darf, aber nicht zu ernst nehmen sollte. Es muss sich wohl um eine seltsame Mischung aus schlechtem Geschmack, Grossmannssucht und Eskapismus handeln, die zu solchen architektonischen Missgriffen führt. Auch am Rande Eschlikons liegt ein solch protziges Bauwerk, welches sich durch seine Monströsität und blankpolierte und naturfeindliche Parklandschaft auszeichnet. Man möchte wetten: jahrelange Parkpflege haben jedwedes Lebewesen aus diesem Anwesens vertrieben. Stramm stehen drei Postkästen am Eingang und wachen darüber, dass nichts Lebendiges ins Areal zurückkehrt. Dorthin musste ich, um meine nächsten Kunstwerke im Orbit von Eschlikon zu finden.


Es wird wohl seit Bestehen des Anwesens eine Zumutung für deren penible Besitzer gewesen sein, dass sich in unmittelbarer Nähe der Einfahrt ein wild verwachsenes öffentliches Wasserreservoir befindet. Eingezwängt zwischen der grosspurigen Auffahrt zur inszenierten Traumvilla und einer Fahrstrasse hinunter nach Eschlikon liegt das kleine Stück Natur: auf einem dreieckigen, öffentlichen Minigrundstück, bestehend aus Bäumen, Gesträuch, Wiese, Bänkchen und, eingepasst in einen Abhang, ein Wasserreservoir. Sein flaches Dach liegt auf gleicher Ebene wie die Wiese, eine Art Minibühne für künstlerische Abenteuer. Die Künstler haben eine „Zone“ daraus gemacht.

Steffenschöni: Video zur „Zone“

Objekt 10 – steffenschöni: zone

Webseite der Künstler Karl Steffen und Heidi Schöni – Werkbeschreibung (pdf – Download)

Bewusst minimal in der Materialität nimmt die Arbeit Bezug auf die örtliche Situation und öffnet gleichzeitig ein Fenster für Vermutungen und Spekulationen.

Ausstellungsleaflet 2021

Ich umschleiche die abgesperrte Zone ohne mich von den architektonischen Ungeheuerlichkeiten in der Umgebung ablenken zu lassen, suche den richtigen Blickwinkel für meine Kamera, steige dazu auch auf das nahegelegenen Bänkli, verwerfe den Blickwinkel aber wieder. Ich stelle mir vor, welche Perspektiven das Publikum bei den beiden Performances, die in der Zone stattfinden, einnehmen können und wie die performenden Künstlerinnen das Publikum sehen werden. Denn die geheimnisumwitterte Zone wird ein Stück weit seine Funktion preisgeben müssen, wenn Musik und Tanz den Abend verschönern. Ich versuche, mir in der seltsamen Abgelegenheit der Zone künstlerische Begegnungen vorzustellen. Ich schleiche herum wie eine Katze und schnüffle in die verborgensten Winkel. Die Bescheidenheit der Anlage fasziniert mich, ebenso wie ihre Unabdingbarkeit. Ich bin enttäuscht, dass das Weiss des auf dem Boden aufgebrachten Muschelkalks schon dunkel geworden ist, dass der Schriftzug „Zone“ ebenfalls gefärbt wurde und vor dem Hintergrund nur mehr undeutlich zu lesen ist. Das nimmt dem Kunstwerk das Geheimnis seiner Intervention und seine Kraft. Mehr Achtsamkeit der Ausstellungsverantwortlichen wäre hilfreich.

Das naive und geschmacklose Beschönen der Welt muss ja auch einmal ein Ende haben, Kunst und Ästhetik ist manchmal die geeignete Antithese zur Weltendressur. Weiss ist die Fläche auf dem Dach des Trinkwasserreservoirs, umzäunt von einem niedrigen Geländer: Zutritt verboten, wohl um die Entropie der aufgebrachten Farbe nicht noch weiter zu beschleunigen. Trotzdem deuten die Stufen an: hier ist der Zugang zum Panoptikum der Welt. Dahinter die umgrenzte Bühne, eine Zone, die zweimal für abendliche Veranstaltungen freigegeben wird. Ansonsten wird um Einhalt gebeten, das wohl, damit Vermutungen genährt werden können, und auch wilde Spekulationen. Bei Sonnenlicht tummeln sich Schatten auf der weissen Fläche der Zone. Bedeutung überall, die aber erst in Szene gesetzt werden muss.

tinderness: Zone

Dann bewege ich mich weiter auf meinem Weg, lasse die Zone hinter mir und gehe das kleine Stück zur Passhöhe hinunter. Dort erprobt ein Junge unter Anleitung einer älteren Frau auf einem Waldweg sein Moped: fährt den Waldrand entlang hinauf zu ihr, die bis vor kurzem Anweisungen über weite Distanz gerufen hat. Dan dreht er um und kommt mir wieder entgegen auf seinem stotternden Gefährt: unsicher wegen des Umstands, dass ich nicht beabsichtige, ihn an mir vorbeizulassen, indem ich rücksichtsvoll zur Seite trete. Doch auch dieser Konflikt erledigt sich von selbst: der Junge steigt ab und schiebt das Fahrzeug neben sich her. Ich weiche aus. Das ist das angemessene Verhalten in der Stille der Natur.

Der Weg ist schön, ein Weg, wie es ihn früher gegeben hat, vorbei an einem kleinen überwachsenen, aus Stein und Ziegel gebauten Depot, an Sitzbänken und kleinen Spielzeugstrassen, die aus Tannenzapfen und Ästen gebaut sind und vom Saum in den Wald hineinführen. Ich tauche ein in den Wald, um von drei montierten „Bilderrahmen“ überrascht zu werden.

Objekt 11 – ckö: Keitshu

Webseite von ckö. – Werkbeschreibung (pdf – Download)

Drei quadratische Konturen fassen die Aussicht wie in drei Landschaftsbilder. Je nach Standpunkt der Betrachtenden entstehen so immer wieder neue Landschaftsausschnitte.

Ausstellungsleaflet 2021

Der Bildausschnitt, ein altes Spiel, von Regisseuren und Kameraleuten zur Perfektion getrieben. Wir kennen deren Gesten. Die aufwendige Erklärung, welche die chinesische Perspektive einer westlichen fokussierten Sehweise gegenüberstellt und so den Werktitel Keitshu begründet, ist im Grunde unnötig. Wir haben das schon oft gemacht, die Scharfstellung des Blickes verlassen. Daumen und Zeigefinger der beiden Hände formen ein Viereck, welches die Welt umfängt und ihr eine neue, besondere Bedeutung geben. Auch dies eine Zone, eine Bühne, ein kultiviertes Stück Wirklichkeit, durch die wir den Blick auf Eschlikon neu gewinnen können. So windet sich der schmale Waldpfad an drei Rahmen vorbei. Nicht aus Zufall suche ich in einem der Rahmen die architektonische Absonderlichkeit der Protzvilla zu erblicken, die sich über eine lange Strecke am Hügelabhang wichtig macht. Ein einfacher Rahmen lässt Landschaften neu erstehen: das ist ein Trick, den wir kennen und immer wieder neu geniessen.

tinderness: Keitshu.

Später sollte ich durch einen Hinweis von ralph butler auf den 2018 verstorbenen dänischen Künstler Per Kirkeby aufmerksam werden. Er hat in einem Neubauviertel in Kopenhagen eine hohe Backsteinwand mit Fenstern errichten lassen, die eine Häuserfassade simuliert. Während man mit dem Rücken zur betriebsamen U-Bahn steht, kann man so durch die Auslassungen der Fenster in den Himmel und aufs Meer sehen und sich ihrer Bedeutung vergewissern.