
…. our poor little town of Lytton is gone …. our entire canyon is going up in flames ….
Edith Loring Kuhanga on Facebook
Hier sitze ich also in meinem ruhigen Domizil in Mostindien und lasse diesen sehr verunglückten Sommer an mir vorüberziehen. Wieder einer dieser eigenartigen Sommer mit irritierenden Wetterereignissen, abnormen Temperaturen und Klimakatastrophen. Der zweite verpatzte Sommer seit Ausbruch von COVID. Wieviele Sommer habe ich wohl noch, haben noch andere? Wenn es draussen gerade regnet und hagelt oder unbarmherzig heiss ist, offeriert mir das Internet eine dichte Chronologie von Katastrophen, die uns zunehmend erschrocken aufhorchen lassen. Heute wurde zudem der mit bangen Gefühlen erwartete Bericht des Weltklimarates publiziert: die Voraussagen sind schlimmer als ohnehin erwartet, natürlich auch für Österreich und die Schweiz.
Was mich in letzter Zeit besonders beschäftigt hat, was mir nicht mehr aus dem Kopf gehen will, ist die Auslöschung der Gemeinde Lytton in British Columbia im Westen Canadas am 30. Juni diesen Jahres. Das klingt so weit herbeigeholt, angesichts der Zerstörung ganzer Landschaften im Mittelmeergebiet Europas. Es hat auch für die Waldbrände in dieser Region Geltung, natürlich. Aber Lytton ist für mich das Fanal dieses Sommers, das Symbol des Untergangs.
Ursache ihrer Zerstörung war die grosse Hitze, die in dieser Region wochenlang mit Werten um die 49 Grad Celsius geherrscht hat. Auf der Webseite der Stadt Kelowna findet sich eine Chronologie der tragischen Ereignisse: Um 03.25 Ortszeit gibt es erste Berichte von Waldbränden im Norden der Gemeinde Lytton, die Strassen werden gesperrt, die Situation von der Feuerwehr evaluiert. Um 18.35 brennt bereits der Wald innerhalb der Gemeindegrenzen. 15 Minuten später wird vom Bürgermeister die Evakuierung der gesamten Gemeinde angeordnet. Überall im Wohngebiet flackern Feuer auf: die Stadt beginnt zu brennen. In einem bis 20.30 in der Nähe errichteten Evakuierungslager treffen nach und nach die Bewohner der Stadt ein: man hofft, dass es alle Einwohner aus der brennenden Stadt geschafft haben. Zwei Personen kommen in den Flammen um. In einem Interview informiert der Bürgermeister der Stadt, dass innerhalb von 20 Minuten die gesamte Stadt in Flammen gestanden sei. Insgesamt mussten 1000 Personen, meist Angehörige der First Nation der Nlakapamux evakuiert werden. Um 22.00 hat die Stadt aufgehört, zu existieren. 90 Prozent der Gebäude auf rund 65 Quadratkilometer Land sind völlig zerstört.
Der „Klimawandel“ (sic!) habe eine Hitzebombe abgeworfen, titelt die Tagesschau zu den Ereignissen in schlechtem Deutsch und verwendet dabei Begrifflichkeit aus Zeiten, als man die drohenden Klimakatastrophen noch als Ausreisser in der Normalwetterlage interpretiert hatte. Auch die Süddeutsche Zeitung macht den „W.A.N.D.E.L.“ dafür verantwortlich und sich dabei selbst mitschuldig, mit schiefen Begriffen die Wahrheit zu verschleiern. Es ist, als wolle man die Menschen vor der Wahrheit schonen, wie man es mit kleinen Kindern tut, denen man nur Teile der Wahrheit zumuten kann. Panik ist demnach zu vermeiden, obwohl diese doch schon lange angebracht wäre. In Wirklichkeit spiegelt die verharmlosende Wortwahl nicht nur ein gutes Stück medialer Unverantwortlichkeit wider, sondern auch die grosse Hilflosigkeit, die gegenwärtig herrscht. Denn die alarmierenden Ereignisse, denen wir begegnen, sind nicht Anzeichen eines Wandels, sie sind der Beginn einer weltumspannenden K.R.I.S.E.
Die Zeit schreibt zu Recht: Klimakrise: Katastrophe, aber ohne Natur. Denn nicht die Natur ist es, vor der wir uns schützen müssen, sondern wir vor uns selbst bzw. den Anderen. In diesem Sommer kam der Krieg der Menschen (und nicht der Natur) gegen die Menschen direkt in unserer allerprivatesten Mitte an: er schob Geröll und Schlamm in unsere Häuser und tötete und verletzte jene, die sich nicht zu helfen wussten. Die Katastrophenpläne versagten, sind sie doch ein Relikt er Nachkriegszeit: damals, als die Menschen noch zusammenzuckten und an Bombenangriffe dachten, wenn die Sirenen heulten. Heute funktionieren die Sirenen nicht mehr und wenn sie es wider Erwarten tun, lassen die Verantwortlichen die Betroffenen bewusst in Unwissenheit darüber, was auf sie zukommt. Das haben sie aus Filmen schon gelernt: Man schweigt, um keine Panik auszulösen. Gut wäre es aber, wenn uns wieder Sirenen warnen würden, auch im übertragenen Sinn. Und das auch im Urlaub. An den beliebten Urlaubsorten der Mittelmeerküste erleben die Urlauber nicht nur eine Hitzewelle unerträglichen Ausmasses, sondern sehen sie auch brennen und rauchen, die natürlichen Ressourcen, am Rande derer man sich von den Zumutungen der Pandemie erholen wollte. Aus dem Urlaub wird diesmal nicht nur der Virus zurück in die Metropolen gebracht, sondern auch das Bewusstsein von der Zerstörung der Idylle, in die wir uns Jahr für Jahr flüchten konnten. Die Welt ist zu einem zunehmend feindlichen und gefährlichen Ort geworden. Nirgends ist Ruh, schon gar nicht unter den Wipfeln der Bäume. Die brennen und wird es bis 2030 wohl nicht mehr geben. Wohin soll man denn flüchten? Mit einem Male war die Dystopie da mit ihrer K.A.T.A.S.T.R.O.P.H.E., von der wir immer nur in wohlig-gruseligen Romanen lesen oder als Filme breitwandfüllend sehen durften. Pandemie, Waldbrände, Überschwemmung, Dürre, tropische Wirbelstürme, und, und und…. Wir kennen alle die Nachrichten, verweigern aber die Zurkenntnisnahme der Realitäten. Wissen erzeugt keine Haltung, hat keine Folgen mehr. Leben will man wie man immer schon gelebt hat. Da lässt man sich von der Katastrophe nicht stören. Selbst die Wissenschaft wird ins Lächerliche gezogen von den Querdenkern und VerschwörungstheoretikerInnen. Aber alles wird schlimmer kommen als gemeinhin erwartet wurde. So steht es im heutigen Bericht des Weltklimarates. Das Unvorstellbare ist zwar schon da, wird sich aber noch viele Male wie im Tollhaus rund um uns drehen, bevor es einige von uns erschlägt.
Indes: Ein Kanzlerkandidat lacht und reisst Witze mit seiner Entourage während im Vordergrund der Präsident des Landes den Betroffenen der Überschwemmungskatastrophe in Deutschland Mitgefühl und Trauer ausspricht. Der Kanzler eines anderen Landes wiederum verspricht verantwortungslos, mit billiger Techologieinnovation die Katastrophe aufhalten zu können. Er spricht uninformiert und berechnend von Steinzeit, in die Umweltschützer die Welt führen wollen. Auch an der Bloggerfront nur Deprimierendes: da werden angesichts der etwa in Griechenland erlebten Waldbrände kulturhistorische Exkurse angestellt über die Nützlichkeit und mythologische Schönheit des Feuers (Zitat: Das Feuer an sich ist gewiss etwas durchaus Menschenfreundliches.) Letzteres ist wohl im besten Falle ein Ausdruck von Hilflosigkeit und Dummheit. Aber auch Hilflosigkeit kann deprimierend bornierte und menschenverachtende Züge annehmen. Feuerwehrleute im Dauereinsatz fragen nicht nach Prometheus. Sie kämpfen ums Überleben, das eigene und das der Anderen. Und wenn schon Vergleiche aus dem Mythos, dann bitte die Büchse der Pandora.
Lassen wir diese empörend traurigen Figuren einer zutiefst menschlichen Krise beiseite und konzentrieren wir uns auf das eigentliche Thema. Gehen wir in der Kritik der Begriffe noch einen Schritt weiter, hin zum scheinbar Unerträglichen: vom Klimawandel über die Klimakrise und Klimakatastrophe hin zum noch kaum genutzten Begriff des Klimaverbrechens. Nennen wir doch beim Namen, was beim Namen genannt werden muss: den Ö.K.O.Z.I.D. Gemeint ist damit die gegen besseres Wissen angelegte Zerstörung unserer natürlichen Lebensbedingungen: auf internationaler, regionaler, nationaler und lokaler Ebene. Buchstabieren wir einfach V.E.R.B.R.E.C.H.E.N. für manche von riesigen Konzernen begangene Taten. Die vollzogene Zerstörung der Lunge unseres Planeten, das Amazonasgebiet, ist so ein Tatbestand. Fracking ein anderer, die Versiegelung der Flächen eines Landes ebenso. Und natürlich gefährdet auch der ungehemmte Pestizideinsatz die Lebensgrundlagen der Menschen: Wasser, Land, Lebewesen, Nahrung. Es sind Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu der die Jurisdiktion allerdings noch nichts zu sagen hat. Was bleibt sind Moral, Protest und Widerstand.
So radikal die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen ist, so klar muss die Sprache sein, die dies auch adäquat beschreibt. Nennen wir die Dinge, die sie in aller Konsequenz bedeuten: Zerstörung, Angst, Tod, Vertreibung, Entzug der Lebensgrundlagen. Gleichzeitig bleibt auch die Schwäche der einzelnen Individuen im Blick. Viele sind verunsichert, versichert man uns, wissen nicht was sie mit den krisenhaften Lebensbedingungen anfangen sollen, haben wohl deshalb das Bewusstsein über die ökologische Wahrheit nicht zu entwickeln gewagt. Sie wollen sich ihr Leben, ihre psychische Gesundheit, ihre Lebensbejahung, ihren Optimismus, ihren Wohlstand, ihre Bequemlichkeit, ihre Wehleidigkeit, auch ihr Jammern auf hohem Niveau nicht zerstören lassen. Augen zu und durch. Ein paar Phrasen vielleicht, gewürzt mit Fake News. Das Hirn und das Herz sind abgestumpft, wohl auch zu verwöhnt im Wohlstand, der langsam unter unseren Händen zerbröckelt. Und all die Nachrichten, eine Zumutung! „Man kann alles regeln, wenn man nur will „- das wurde uns eingeredet und daran glauben wir mit aller Macht. Im letzen Zug wird dann wohl immer alles gut. So wird die gespürte Ohnmacht verdrängt und in Arroganz verwandelt: Diese dumme Göre aus Schweden! Diese unreifen SteinzeitpredigerInnen von Fridays for Future! Diese Störer der öffentlichen Ordnung! Doofe Wissenschaft: Als ob es Unwetter nicht immer schon gegeben hätte! Freie Fahrt für freie Bürger! Wir tun aber in Wirklichkeit nur das, wozu uns die Algorhytmen des Internets der Dinge bewegen: die eigene Gedankenblasen vervielfachen. Die Realität bleibt aussen vor, erscheint wie ein Theater, inszeniert von den Medien dieser Welt. Sie verunglimpft man die Verantwortungsvollen, weil man zu vernagelt ist, um die Welt zu begreifen. Wir vegetieren intellektuell und emotional dahin: in aller Freiheitsliebe selbstverständlich, als freier Bürger und mündige Bürgerin, abgestumpft und ohne Mitgefühl. Dumm und dumpf. An Verzicht ist nicht im Geringsten zu denken, auch wenn er sich zum Gewinn für uns alle verwandeln könnte. Falsch verstandene Freiheit schluckt alles: es lebe die Verantwortungslosigkeit.

Eine Frage stellt sich mithin in aller Deutlichkeit. Auf welche Seite wollen wir uns schlagen? Auf jene der Verleugnung (Klimawandel, Global Warming) oder auf jene der Realität (Klimakrise, Klimakatastrophe, Klimaverbrechen)? Wie wollen wir uns sprachlich positionieren? Höflich die Konflikte vermeiden oder das, was uns alle bedroht und beeinträchtigt, korrekt benennen? Ist die Wahrheit den Menschen zummutbar oder ein Instrument in den Händen von einigen, die gewohnt sind, sie zu verschleiern? Auch wenn wir es nicht wahrhaben wollen in unserer unendlichen Selbstgefälligkeit, Wehleidigkeit und Blindheit: in die Katastrophe fahren wir direkt ein, wenn auch unbedarft und naiv. Nennen wir die deshalb die Dinge beim Namen, beim richtigen, wohlgemerkt! Und befreien wir uns aus unserer selbstverschuldeten Unmündigkeit. In Beantwortung der Frage nach der Aufklärung hat einst Immanuel Kant formuliert:
Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seine Verstandes ohne Leitung durch einen Anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschliessung und des Muthes liegt, sich seiner ohne Leitung eines Anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Muth, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.
Immanuel Kant: Was ist Aufklärung? 1784
Gerade deshalb auch ist das Undenkbare ist zu benennen, bevor es uns zum Schweigen bringt. Fordern wir deshalb Klima – G.E.R.E.C.H.T.I.G.K.E.I.T. Beziehen wir Position, reden wir Klartext. Dumbe Verharmloser gibt es ohnehin allerorten.
Recherche:
- Castanet: Lytton Fire Catastrophic – Entire Town of Lytton evacuated as fire tears through community.
- Der Weltklimarat. Deutsche Koordinierungsstelle.
- Immanuel Kant: Was ist Aufklärung? 1784 (pdf – Download)
Hat dies auf Gerels blog rebloggt und kommentierte:
Genauso empfinde ich das alles auch!!!
Jenseits unserer Geschichtsschreibung gab es dies wohl schon- Wo sind die Zeugnisse davon??? Die damaligen Kulturen sind untergegangen, verschwunden! Manchmal bei Ausgrabungen scheint ein kleines Licht im Geiste der Ausgräber auf, bis sie erklären, dass das Ganze wohl unmöglich damals schon so gewesen sein könne und auf einem Irrtum beruhen müsse!
So werden vielleicht unsere Überreste einmal in ein paar Tausenden von Jahren gefunden und für Irrtümer erklärt!
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ich meinte nicht, dass unsere „Kultur“ gefährdest ist, sondern die Gesamtheit der Menschheit. Da wird es wohl dann keine archäologische Forschung mehr geben können, auch keine Irrtümer und auch keine Geschichte.
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Ich meinte nicht „Kultur“ als das, was man so unter Kultur versteht, sondern unsere derzeitige „Hochkultur“, im Sinne von derzeit lebender Weltbevölkerung.
Solche Missverständnisse passieren, wenn einfach nur geschrieben wird, und man sich nicht gegenübersteht um zurück zu fragen.
Pardon!
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Hervorragender Beitrag. Es ist verrückt, wie schnell wir das alles immer wieder und wieder verdrängen – aber es holt uns in immer kürzeren Abständen ein.
Das Verrückte ist: 1995 schrieb ich meine ersten Zeitungsartikel, die habe ich zum grössten Teil gesammelt und kürzlich wieder mal gesichtet. Damals schrieb man über die „drohende Klimakatastrophe“. Das Wort „Klimakatastrophe“ ist jetzt aus unserem Vokabular gestrichen.
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Danke schön. Ich bin mir nicht sicher, ob es sich bei der Verwendung des Begriffs Wandel nicht um ein von den grossen umweltzerstörenden Industrien inszenierten und promoteten Begriff handelt. Dass sich etwas „wandelt“ und wir uns individuell daran anpassen müssen, das hätte man wohl gerne, um so mit der Profitmaximierung auf Kosten des Rohstoffs Natur (der uns allen gehört) fortfahren zu können. Berechnen wir doch auch den ökologischen Fussabdruck dieser Konzerne, wenn wir mit uns selbst diesbezüglich selbstkritisch ins Gericht gehen.
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