Eschliker Horizont.

Die hier beschriebenen 13 Kunstwerke sind Teil des Kunstwegs Orbit, einer Freiluft-Ausstellung, die entlang der Gemeindegrenzen von Eschlikon (TG) bis Anfang Oktober 2021 zu sehen ist. Ich wandere von einem Objekt zum anderen, um zu erfahren, welchen Eindruck diese hinterlassen. In den vergangenen Tagen habe ich bereits folgende Ausstellungsobjekte aufgesucht: (1) Optimist von Elisabeth Nembrini, (2) Persinette, descendez vos chevaux que chez monte von Nicolas Vionnet, (3) From the Earth von Almira Medaric, (4) Welcome to the Jungle von Ursula Palla, (5) Splice von Sonja Rüegg, (6) Le mouvement végétativ von Victorine Müller, (7) Tetrasphereline von Christoph Rütimann, (8) W.A.S.P. von Guido von Stürler, (9) Aurum von Joelle Allet., (10) Zone von staffanschöni und (11) Keitshu von ckö.


Verwundert war ich schon beim Blick auf meiner Karte, die mir die Orientierung auf meiner Kunstwanderung erleichtern sollte. Zunächst war mir der Weg verwehrt, wo mir die Karte versprach, mich bewegen zu dürfen. Ein frisch bemaltes Schild verbot mir den Abstieg vom Hurnerwald, indem sie das Schweizer NO GO artikulierte: „Privatweg, Betreten verboten!“ Offenbar hatte hier ein Bauer seine Nerven verloren, ob der wenigen, wandernden Kunstsinnigen. Oder die Gemeinde hat sich nicht im Vornhinein bezüglich der Wegfreiheit vergewissert. Was auch immer. Weil ich heute nicht in Guerillalaune war, blieb mir nichts anderes übrig, als den Umweg zu gehen, einen weiten Bogen, der sinnlos und unangenehm ist, weil er entlang einer Strasse mit regem Verkehr ins Dorf zurückführte. Danke, werter Bauer!

Im Dorf Hurnen: Werner Widmer’s Wunschprogramm

Objekt 12 – Werner Widmer: Wunschprogramm

Webseite des Künstlers, Werkbeschreibung (pdf -Download)

Drei Wunschnüsse bei drei Sitzbänken laden zu einer Rast ein. Verweilen und Ausschau halten. Innehalten, oder in die Ferne wünschen.

Als ich mitten in dem schmuck herausgeputzten und doch deprimierend verlassen kleinen Ort um die „Sitzecke“ samt seinem Kunstwerk, der übergrossen Nuss herumstreiche, merke ich fast körperlich, wie die Vorhänge in den Fenstern ein wenig zur Seite gelupft werden, um den Ortsfremden zu beobachten, der hier Interessen zeigt anstatt gemessenen Schrittes den Ort auf schnellstem Weg zu verlassen. Ein riesiges Fragezeichen scheint über meinem Körper zu schweben, der Ort Hurnen ist mehr als beunruhigt. WAS TUT ER HIER? Nichts mit Verweilen und Ausschau halten, hier scheint kein geeigneter Platz dafür.

Mit der aus schönem Holz gefertigten Nuss weiss ich an diesem Ort sehr wenig anzufangen, ausser dass ich seine Maserung und Grösse mir ein wenig Aufmerksamkeit abringt. Die Wirkung zeigt sich erst durch all das, was an einem stillen, ja toten Ort passiert. Mir kommen Grosseltern entgegen, mit ihrem Enkelkind, das wohl erst vor kurzem sprechen gelernt hat. Die Frau unscheinbar, traditionell verschwindend in ihrer Funktion als Dienende in Haushalt und Aufzucht; der Gatte umso imposanter, in eine Art Cape gehüllt, auf dem Kopf ein Filzhut mit weiter Krempe: den weit nach aussen gewölbten Bauch bedeutungsschwanger vor sich herschiebend. Gemessenen Schritts kommen sie auf mich zu, auf einen Menschen, den sie noch nie gesehen, noch nie gesprochen haben und der an diesem Ort, das wie ein Wohnzimmer wirkt, durchaus verdächtig erscheint. Es wird also grossflächig gefremdelt! Trotzdem, die Aggression ist (noch) nicht offen, eher versteckt hinter Wohlanständigkeit und betulicher Eidgenossenschaft. Nur der Bub legte seine Irritation ohne weitere zivilatorische Hemmung offen. Ich konnte zwar nicht exakt verstehen, was er mir fordernd entgegenbrabbelte, aber es bedeutete wohl: „Was machst du hier?“ Schön, wie Kinder das oft sagen, was ihre Erziehungsberechtigten denken. Mehrmals wiederholt er dies, bevor ichs verstehe. Seine Stirn zog sich dabei in Falten.

Ich gehe in die künstlerische Gegenoffensive, deute auf das Objekt, das eine Nuss sein will und antworte: „Ich sehe mir die Nuss an, schau, die riesengrosse Nuss!!“ Mit weit ausgestreckter Hand zeige ich auf das braune Objekt. Nun starren alle drei auf den Verrückten, der hier Nüsse sieht. Das Wunschprogramm scheint nicht zu funktionieren! Er hat sich wohl auch als Wiener geoutet. Und sein Wunsch wäre da: An einem weltoffeneren Ort zu verweilen.

tinderness: Wunschprogramm
Werner Widmers Wunschnuss. Detailansicht.

Nichts wie weg von diesem exponierten Platz, der mir das Wunschprogramm entschieden verwehrt. Ich habe ja vor Ort gelernt, dass es noch zwei weitere Nüsse geben muss, und zwar auf dem markanten Hügel, der sich Stutz nennt und von dem Wallenwil dominiert wird. Auf die beiden verzichte ich gerne, an diesem Sonntagnachmittag, indem die Eidgenossen spazieren gehen mit ihrem ehrlich-offenen Nachwuchs. Das Bedürfnis nach Wunschnüssen, deren Wirksamkeit und Bühnen der Fremdheit ist restlos erschöpft.