Ich habe mich vor einigen Wochen dazu entschlossen, in einer speziellen Rubrik auf jene Blogs hinzuweisen, die für mich Gewinn und Freude sind. Begonnen habe ich mit dem Blog einer kultivierten Dame, heute folgt ein ebenso bezaubernder Herr.


Manchmal ergeht es mir mit dem Internet wie früher mit dem Fernsehen und heute mit Netflix: es langweilt mich unendlich. Dabei beziehe ich mich gar nicht so sehr auf die „Sozialen Medien“, denn diese habe ich ohnehin grösstenteils als irrelevant aus meinem Radar entfernt. Sie konfrontieren mich nur mit meiner eigenen Bewusstseinsblase, das ist zuwenig für mein intellektuelles Wohlergehen. Die Algorithmen machen das Internet eintönig, der Griff der Konzerne auf unsere Klickgewohnheiten sind mehr als ärgerlich. Das Abenteuer Internet ist dem Internet der Dinge gewichen: schon seit langem. Der geistigen Ambition der Digital Natives hat es nicht gut getan. Das Internet der Dinge ist ein Netzwerk der Einöde.

Das Kennenlernen von Neuem hingegen, Überraschendem gar: das animiert, das empört, das verwundert, kann sogar verzaubern. Menschen, die den Anderen zur Neugier verführen können, sind selten. Einige wenige tun das aber trotzdem noch immer unentwegt: Magier des Wissens sein. Jemand der Geschichten erzählt, kann so ein Zauberer sein, jemand der die Geschichten der Welt sammelt erst recht. Die Magie kommt dabei jedoch nicht von einer imaginierten „Anderswelt“ oder führt dorthin. Sie ist keine Beschwörung esoterischer oder exotistischer Sehnsüchte. Sie bezieht ihren Reiz aus dem „An sich“ und „Für es“ der Dinge und intellektuellen Realitäten. Es sind geistige Stoffe, die uns umgeben, die wir aber bisher noch nicht kennenlernen durften oder wollten. Die Welt ist reich, enthält uns aber leider so Manches vor. Dumm werden wir geboren, weise sterben wir hoffentlich. Wissen und Weisheit wollen jedoch gefunden werden. Die Magie, so wie ich sie hier verstehe, spricht von der Seele der Dinge, der Umstände, der Verhältnisse. Es ist die Diversität der Blickpunkte, die zwischen Dummheit, Überraschung und Genialität changiert. Es ist Überzeugung, hervorgerufen durch den anderen Gedanken: das Brot jedweder menschlichen Entwicklung. Über dieses schiefe Mosaik des Wissens ärgere ich mich, freue ich mich, bin ich baff erstaunt – und überlege mir dann sehr gut, ob ich eigene Kommentare unter Kleinodien stelle. Die richtigen Worte sind kostbar und sollten nicht bedenkenlos ausgestreut werden wie der Small Talk beim Austausch von wertlosen Artigkeiten. Zum Plappern und Nachsprechen sind ohnehin die Soziale Medien da: und der alltägliche Bussi Bussi ÜberheblichkeitsTalk soll dort auch bleiben.

Doch zum Schönen zurück, zur Freude und zur Erkenntnis. Denn vor allem Erkenntnis vermag der Zauberer zu bringen, ohne zu belehren oder sich aufzudrängen. Es sind Lern- und Erfahrungsangebote, denen man folgen möchte oder auch nicht. Sie sind dazu da, den sich dabei entwickelnden Gedanken auf die Spur zu kommen. Die Auswahl ist radikal individuell und deshalb so interessant.

Es gibt da ein Blog, der genau dies kann: immer wieder und immer wieder in erstaunlich gleichbleibender Qualität. Dem folge ich, das verfolge ich mit grossem Gewinn. Einige Gedankensplitter dieser Woche, die mich in ihren Bann geschlagen haben waren: Da hat ein Grafiker die Wahlplakate zur deutschen Bundestagswahl kommentiert; ich habe mich erstmals informieren können, was denn genau ein (ökoligischer) Kippeffekt ist und warum die Eisschmelze in Grönland so prekär ist; ein wunderbarer Satz des ungarischen Philosophen Georg Lukacs ist mir in Erinnerung geblieben; ein Spionagekrimi von Joseph Conrad hat mich in Spannung versinken lassen; ein Bild erstaunt.

Der Zauberer Ralph Butler tut auf seinem Blog namens „Blütensthaub“ etwas, was dem früher in Gebrauch befindlichen Microblogging immer gut anstand: interessante Dinge zu posten, radikal seinem eigenen und individuellen Geschmack und den dahinterliegenden Interessen entsprechend – und das in hoher Frequenz und Verlässlichkeit, Wissen weitergeben, das man selbst im Feed gesammelt hat. Kein auf mich zugeschnittener Mainstream, sondern die Passion eines Individuums, dem die Welt Sorge aber auch Vergnügen bereitet. Kein Tag vergeht, an dem ich nicht vertrauensvoll nachsehe, was es denn Interessantes, Neues, Berührendes, Abstossendes geben mag. Die „Hörstücke“ begleiten mich bei langweiligen Verrichtungen, die der Haushaltsführung geschuldet sind; Videos bedienen meine Augenlust; Texte meine Lesegier. Es ist, wie wenn er ohne Rücksicht auf seine Leser postet und SEIN Ding tut: und das ist fast schon ein Garant für Sinn.

Was hier getan wird, ist nicht häufig in der deutschen Bloggerwelt, die sich geschmäcklerisch zwischen Tierphotographie, Buchrezension, Kunsthandwerk und Lebensbekenntnissen tummelt. Vorbilder gibt es wenige im deutschen Sprachraum. Einst hat das der Schockwellenreiter mit seiner täglichen Ration Wahnsinn vorgezeigt und das tut dieser wohl auch heute noch immer mit Verve.

Blütensthaub ist, mit Verlaub, ein gescheites Blog und keines das vor Selbstsucht knirscht. Es ist eines, das ich unbedingt empfehlen und nicht missen will. Und es ist eines, dass sich bewusst dem Werk des Romantikers Novalis mit gleichem Titel anlehnt: einem Werk der Romantik, bestehend aus 114 Aphorismen und mehreren Kurz-Essays. Aphorismen als Vorläufer des Microblogging oder besser umgekehrt: Microblogging als der formale Epigone des Aphorismus? Man möchte sich auch ein wenig an Dark Academie erinnert fühlen, sowohl was den dabei vermittelten Live Style, als auch die ein wenig romantisierte Form altmodischen Erkenntnisgewins betrifft.