
Vor kurzem hat eine von mir geschätzte Bloggerin aus U.K. über die Grenzen des Bloggens geschrieben. Sie argumentierte, dass der selbst auferlegten Schreib- und Entäusserungsdrang mitunter zu innerer Leere führen könne, und die Unmittelbarkeit der eigenen Empfindungen darunter leide. Die Qualität des Erlebens würde gemindert, wenn man sich immer davon gedrängt fühle, über alles und jedes Notizen zu machen. Im Extremfall könne sich der ständige Schreibdruck auf die Gesamtheit des Lebens ausbreiten. Deshalb habe sie sich Regeln für das eigene Bloggen auferlegt: über wichtige persönliche Erlebnisse schreibe sie erst, wenn diese nicht mehr „frisch“ wären, sie gäbe sich Zeit, darüber zu reflektieren und sie zu verarbeiten; spirituelle und private Erlebnisse von grosser Bedeutung würde sie darüber hinaus überhaupt nicht per Blog kommunizieren. Ihr sei bewusst, dass es einen Teil in ihr gäbe, der einfach unteilbar sei. Und über diesen innersten Kern des Selbst solle man einfach nicht schreiben. Dort öffentlich zu schürfen, sei für sie ein No Go.
… that you can end up having all of your experiences filtered through the process of writing. It can feel a lot like strip-mining yourself, and you end up depleted, empty, a ravaged landscape.
Nimue Brown: Strip Mining your Life.
Ich dachte beim Lesen, dass das, was hier Nimue Brown in ihrem Beitrag Strip mining your life anspricht, ein Thema sei, das möglicherweise für viele von uns von Bedeutung ist: ob er/sie jetzt spirituell ausgerichtet ist, oder nicht. Ich würde sogar so weit gehen, zu sagen, dass man auf jeden Fall vermeiden solle, das Privateste nach aussen zu schöpfen, will man nicht einem ungesunden Exhibitionismus anheim fallen.
Was aber ist in diesem Zusammenhang mit Strip Mining gemeint? Eine direkte Übersetzung führt nicht sehr weit. Strip mining bezeichnet ursprünglich die vor allem im Kohlebergbau benutzte Methode, im Tagbau Oberfächengestein abzutragen (to strip), um die darunter liegende Kohle abbauen (to mine) zu können. Strip mining your life könnte deshalb im übertragenen Sinne bedeuten, unermüdlich am Abbau der eigenen Ressourcen zu arbeiten, bis eine ausgepowerte, leere und verwüstete Landschaft übrig bleibt: Burnout durch Schreibzwang also. Diese Form der Selbstausbeutung kommt dann mit Symptomen wie Schreibmüdigkeit und Einfallslosigkeit daher, die sich bis zur Schreibblockade steigern können. Plötzlich geht nichts mehr am Schreibtisch.
Abseits von der oben angesprochenen Gefahr exhibitionistischen Verhaltens lauern weitere Gefahren beim regelmässigen Schreiben. Über sich und seine Welt zu schreiben, heisst: etwas von sich herzugeben, seine emotionalen und intellektuellen, ja physischen Ressourcen einzusetzen, um der Imagination der Anderen Selbsterlebtes oder -erdachtes zur Verfügung zu stellen. Es heisst auch, sich seiner Gedanken und Ideen zu entäussern und sich selbst (wenigstens partiell) dar- und blosszustellen: bis an die Grenze des Exhibitionalismus, wie wir oben gehört haben. Darüber hinaus wissen wir: Gute Texte benötigen Zeit, Geduld, Präzision und konzises Denken, nicht zuletzt ein gewisses Mass an Begabung. Jeder, der sich zum Schreiben in einem Blog entschlossen hat, kennt wahrscheinlich den quälenden Gedanken: „Worüber schreibe ich als Nächstes, was könnte ich von dem, was ich erlebt, gelesen, gedacht habe, auch veröffentlichen? Welches Bildmaterial brauche ich? Welche gerade gefundenen Texte muss ich aufbewahren, weil ich sie für meine kommenden Beiträge benötigen könnte?“ Und es ist wahrscheinlich, dass man/frau die Müdigkeit und Mattigkeit fürchtet sowie das Unvermögen, weiterhin schreiben zu können. Da gibt es dann auch Ängste, die Qualität der Texte zu vernachlässigen, vor allem dann, wenn man sich zum Sklaven der Aufmerksamkeit seines Publikums gemacht hat. Denn die Aufmerksamkeit kann meist nur durch die Regelmässigkeit der Veröffentlichung gehalten werden. Und dann die Erkenntnis, dass man schon seit langem damit begonnen hat, die Welt durch die Brille der eigenen Textproduktion zu filtern. Man ist zur Schreibmaschine geworden und fühlt sich müde und ausgepowert. Nichts, was man nicht schon gesagt hätte!
Der selbst verordnete Druck, alles in Worte fassen zu müssen, mündet bei Vielen in eine eingeschränkte Perspektive: die Welt wird vom Standpunkt des Bloggens, des zu produzierenden Textes wahrgenommen. Wir kennen ähnliches bei „typischen“ Touristen: das Fremde, Unbekannte wird praktisch nur mehr vom Standpunkt des Reiseführers, der Reiseempfehlungen und der eigenen Kamera gesehen, zum eingehenden Betrachten vor Ort kommt es kaum noch. Das Exotistische und Spektakuläre schiebt sich in der Gier des touristischen Erlebens leicht in den Vordergrund. Hingegen erfasst man/frau das Atmosphärische, schwer Sagbare, das Wesen des Fremden nur mehr in Ausnahmefällen. Statt mit den Augen zu beobachten, sieht man mit der Kameralinse, den Blick auf den Output gerichtet und die fast unmittelbare Verwertung auf Facebook, Instagram oder Tiktok. Aber sollte nicht Sehen, Verstehen und Begreifen lange vor dem Schreiben entstehen und erst durch unseren Text im Nachhinein genauer durchdrungen werden? Es ist ein Unterschied, ob ich eine Begebenheit reflektierend niederschreibe, oder ob ich eine Begebenheit erlebe, um sie sofort in meinem Blog verwerte.
Ich gebe zu, das es schwer ist, die Balance zwischen den Polen des „ursprünglichen Erlebens“ und dem „Verwertungserleben“ zu halten. Wir alle sind auf das Lesen durch ein wie auch immer definiertes Publikum angewiesen und begeben uns daher ständig in Gefahr, Quantität vor Qualität zu bevorzugen. Würden wir aber nur für uns schreiben, könnten wir auch ein privates Tagebuch führen. Schreibmüdigkeit, Schreibblockade, Exhibitionismus, Qualitätsverlust: das sind grosse Bedrohungen beim Bloggen. Hüten wir uns davor und finden wir Wege, es zu vermeiden.
Die im englischen Sprachraum „erfundene“ bzw. „ausgefeilte“ Methode des Kreativen Schreibens („Creative Writing“) kann hier Hilfestellungen leisten, um Schreibroutinen und Schreibblockaden zu vermeiden. Kreativitätstechniken helfen nicht nur, die eigenen Schreibfertigkeiten weiterzuentwickeln, sondern auch eingeschliffene Routinen zu durchbrechen. Weiterentwicklung ist immer gut. Insgesamt halte ich aber wenig von den vielen Tips und Tricks, die gegen die drohende Schreibmüdigkeit eingesetzt werden sollen.
Es ist einfach: wenn einem nichts einfällt oder einem das eigenen Bloggen zuwider ist, hört man einfach damit auf, um es möglicherweise irgendwann wieder aufzunehmen. Leistungsdruck bei einem Hobby? Nein, danke!
Nein, das ist bei mir nicht so. Wenn ich müde bin, mache ich einfach ein paar Tage nix. Wenn ich in einer Tiefe schürfen möchte, die der Blog nicht erlaubt, dann schreibe ich etwas anderes. Ich spüre keinen Druck (oder nur selten). Wenn etwas da ist, ist etwas da. Wenn nicht – dann mache ich etwas anderes.
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Man muss sich einfach in andere Menschen hineinversetzen, um sich nicht selber leer zu schreiben. Kann man das so sagen? 🤔
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Hmm, das hab ich so noch nie gesehen …..
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