Krähenbeere (…)

Meine Liebe zur Schwarzen Krähenbeere (Empetrum nigrum) entwickelte sich mehr durch Zufall als durch bewusstes Herangehen an diese Pflanze. Sie ist mir noch aus meiner Kindheit in Erinnerung, als mir beim Heidelbeerpflücken immer schärfstens eingetrichtert wurde, sie nicht mit anderen Beeren zu verwechseln. Wovor ich mich zu hüten hätte, wären die Krähenbeeren und die Rauschbeeren. Also Finger weg! Man kontrollierte meine Funde von Mal zu Mal. Mit einem belehrenden Unterton wurden mitgepflückte Krähenbeeren ausgesondert, bis ich endlich begriff: die „Schlechten“ werden einfach weggeworfen. Ob sie giftig waren oder nicht, entzog sich lange meiner Kenntnis. Fama crescit eundo.

Die Krähenbeere traf ich dann wieder in Norwegen, Finnland und schliesslich in Schweden – immer in trauter Nachbarschaft mit der Heidelbeere. Ich nahm sie nun wohl ohne Unbehagen zur Kenntnis, verzehrte sie sogar mehrmals, hielt sie aber angesichts des überreichen Angebots an Heidel- und Preiselbeere nur für bedingt sammelwürdig. Das war bis zu dem Tag, den wir an der Alten Mühle verbrachten; als ich sie zum ersten Mal richtig sah und von da an voller Zuneigung beachten lernte.

Ich war mit dem Zeichenbuch und der Sitzunterlage auf einem bequemen Felsen zu ruhen gekommen und wollte eigentlich eine Zeichnung von der Zuleitung des Wassers von der Wasserentnahme zum Mühlrad zu Papier bringen. Ein recht lohnendes Motiv möchte man/frau meinen: das grob gehauene Holz und die Verwitterung hatten ein interessantes Stück altes Bauwerk zustande gebracht. Aber das Spektakuläre ist nicht immer das Schöne, und als ich mich unsicher nach möglichen Motiv-Varianten umsah, fühlte ich meinen Widerstand gegenüber dem, das an diesem Ort als Erstes hier ins Auge sprang, wachsen. Mein Blick glitt zu Boden, und ich sah sie, die Krähenbeere. Nichts anderes wollte ich nunmehr zeichnen, als das Unscheinbare, das Kleine, das überall Vorhandene: die Krähenbeere, die an Orten wie diesen gemeinsam mit anderen Flechten, Moosen und Beeren den Untergrund bedecken. Es war wie eine Rehabilitation gegenüber den Gerüchten aus meiner Kindheit. Ich verbrachte so einige Zeit des genauen Blickes und der Achtsamkeit der kleinen Pflanze gegenüber: mit viel Gewinn, wie mir im Rückblick erscheint. Das eigenartig gedrehte Blatt, das einer Baumnadel en miniature gleicht, die Unregelmässigkeit ihres Blattstandes, die samtene Dunkelheit der Beeren, ihre lange, weit über den kargen Boden sich verzweigende Wurzel: das alles war neu für mich. Das ist es, was ich am Zeichnen der so schätze: dass man/frau sich so intensiv seiner Umgebung versichern kann und eine gewisse Achtsamkeit entwickeln kann, die einem in den Alltagsroutinen so fehlt. Aber weil meine zeichnerischen Möglichkeiten so naiv und beschränkt sind, protze ich hier mit einer professionellen Zeichnung, die auch abbildet, was ich meine.

Wikimedia Commons.

Was man mir in meiner Kindheit neben der paranoid erscheinenden Vorsicht vor der Krähenbeere aber nicht beigebracht hatte, war, dass das Pflücken der Krähenbeere durchaus lohnend hätte sein können. Eine Pflanze, die in den Moorlandschaften und alpinen Regionen Europas aufgrund der Klimakatastrophe mit ihren langandauernden Hitzeregionen bald ausgestorben sein wird, ist sie; ein Heidekraut, das überwiegend in den arktischen Regionen von Insland bis zur Halbinsel Kamchatka seine Verbreitung findet. Erstmals wissenschaftlich erfasst und beschrieben wurde die Krähenbeere von Carl von Linnee im Jahr 1775. Bekannt war sie und genutzt wurde sie allerdings lang bis ins Neolithikum hinein.

Hier in Schweden waten wir noch in der in Deutschland bereits geschützten Beere, die sich ein wenig fremdartig in den endlosen Heidelbeer- und Preiselbeer abheben; die tiefschwarzen Beeren, die gut und gerne essbar sind, mit ihrem eigenartig säuerlich-bitteren Geschmack und dem prägnanten Kern in ihrer Mitte. Manchmal rutschen sie beim Heidelbeerpflücken mit in die Sammelschale und man erkennt recht rasch den Unterschied zwischen beiden. Auch die Blätter der beiden Pflanzen sind sehr unterschiedlich. Rasch wird deshalb die Krähenbeete ausgesondert, weil ihr Ungeniessbarkeit, wenn nicht gar Giftigkeit unterschoben wird.

Das sieht die subarktische Bevölkerung aber anders.

Die (Samen)lassen sie in Milch einfrieren als Vorrat für den Winter, die Inuit essen sie als Delikatesse vermischt mit breiartig zerschlagener Dorschleber, in Island bewahrt man sie in saurer Milch auf oder trinkt den Fruchtsaft und auf Grönland verzehrt man sie mit Seehundspeck vermengt.In Norwegen bereitete man im Mittelalter Wein daraus.

Deutscher Alpenverein: Pflanzengeschichten. Brauchtum, Sagen und Volksmedizin zu 283 Pflanzen der Alpen.

Und auch ich kann mir so mancherlei Verwendung für die Schwarze Beere vorstellen: Die Verarbeitung zu Sirup, Marmelade, Speiseeis und als Beilage zu allerlei Wildgerichten, am Besten Elch und Rentier. Und wenn es zum Räuchern kommt, kann sich die Krähenbeere auch auf Vorbilder berufen. Die Inuit etwa räucherten ihre Behausungen, um sie spirituell zu reinigen. Auch Gäste wurden damit gereinigt: um sie von Krankheiten und bösen Geistern zu befreien.

Crowberry plants were once used as a fumigant. At times, visitors to Alutiiq communities were asked to stand in or walk through the smoke of burning crowberry plants, to destroy diseases and ward off evil spirits. Similarly, people cleansed their homes with crowberry smoke. The plant was burned indoors to prevent and cure illness, to drive insects out of the attic in springtime, and to cleanse a home after the death of a family member.

Alutiik Museum. Archaelogical Repositary. Crowberry. Blackberry.

Ich werde wohl einmal eine Räucherung vornehmen, um ihre Geruchsnote zu testen. Ich freue mich schon auf unsere nächste Begegnung.