Immer wollte ich gerne Zeichnen können, es durchaus auch lernen, weil mir das erforderlich schien. Nie habe ich damit begonnen. Verdrängt sind die Schulstunden, wo ich unter der Aufsicht unseres Zeichenlehrers – er war hager, gross und trug stets einen grauen Arbeitsmantel sowie Watte in den Ohren (sic!) – mich mit meiner Phantasie und den dafür notwendigen Formen auseinandersetzte und flehentlich um seine Aufmerksamkeit und seinen professionellen Rat rang. Allein, er war stets anderwärtig beschäftigt. Für zwei meiner Wasserfarben Malereien bekam ich Lob, eine davon besitze ich immer noch. Gelernt habe ich nichts bei ihm, trotz all meiner naiven Hingabe.
Dann war Pause mit dem Zeichnen, mehr als ein halbes Leben lang. Nur hin und wieder versuchte ich mich in technischen Zeichnungen, wenn es etwa darum galt, Skizzen für ein Werkstück aus Holz zu fertigen. Da merkte ich, wie gerne ich mit Bleistift und Radiergummi in meinen Arbeitsheften herumfuhrwerkte. Da kam die Perspektive, der Masstab und die Beschriftungen ins Spiel. Es machte Spass, ja, und es regte mich emotional wie intellektuell an. Es war wie ein Versprechen: dass sich eine Tür zu einer neuen Welt eröffnen würde! Doch ich war nie bereit, sie tatsächlich aufzustossen.
Wie ein Vorzeichen war das Seminar vor zwei Jahren, bei dem ich mit Juteschnüren an einer Collage bastelte und sie auf Leinwand aufzog: Struktur auf Struktur. Ich erkannte meine grafischen Schwächen sofort und hätte sie, bei einer einer entsprechenden, vorbereitenden Skizze rechtzeitig mildern können. Dennoch hängt die Collage nun an einer Wand, um mich an den medidativen Akt zu erinnern, mit dem ich in der Gemeinschaft Gleichgesinnter fast den gesamten Tag verbracht hatte.
2021 war es dann so weit. Seit diesem Sommer zeichne ich endlich regelmässig! Zuerst ein paar Topfpflanzen als Modelle, dann eine Fülle von Pflanzenzeichnungen aus der subarktischen Landschaft Sapmis. Ich sah genau hin und zeichnete mir die Landschaft in meinen Kopf.
Nur um es nochmals klar zu sagen: Ich bin kompletter Autodidakt, manche meiner „Werke“ beschämen mich wegen ihrer Naivität und Ungeübtheit, manche finde ich halbwegs gelungen, auf manche bin ich vorsichtig stolz. Ich rahme nicht, ich lege nicht in Mappen ab, sondern ich zeichne in Skizzenbüchern, mit aller Hingabe und Geduld und immer mit Bleistift und Radiergummi als Instrumente. Ich blättere gerne in meinen Skizzenbüchern, versehe meine Zeichnungen immer mit kleinen Kommentaren, die das graphische Abenteuer kurz beschreiben. Ich bin aber nur mir Rechenschaft über die Qualität und Regelmässigkeit meiner graphischen Übungen schuldig, niemand anderem. Und ich merke, wie ich langsam in Übung komme, wie damals mit sechs, sieben Jahren, als ich Schreiben und Lesen lernte: in der Führung des Stiftes, in der Aufteilung des Platzes, in der Schattengebung und der Schraffur, im Blick auf das Ganze und das Detail. Das Ergebnis ist noch weit entfernt vom Können, aber ein schönes Erlebnis und notwendig für meine nächsten Schritte.
Gleichzeitig suche ich Rat und Anleitung, fernab jener Youtube Tutorials, die mich schon wegen der in ihnen verbreiteten Materialschlachten a la Einkauf in der Fachhandlung Boesner oder wegen ihrer schludrig dummen Ansagen („Perfekt Zeichnen Lernen!“, „Zeichnen lernen in einer Woche!“) abstossen. Die Angebote von Domestika wiederum („Die Gemeinschaft der kreativen Sorte“ laut Selbstdefinition), die in letzter Zeit meine Email Inbox überschwemmen, nerven mich zunehmend. Nachdem ich mir unvorsichtigerweise einen preiswerten und völlig unbrauchbaren Online-Kurs gekauft habe, machen mich die weiteren Angebote zutiefst misstrauisch. Mehr Selbstdarstellung der Kursleiter sind sie als Hilfestellung für die Kunden. Also Hände weg, auch wenn die Website so cool und bunt und kreativ „rüberkommt“. Bücher vielleicht stattdessen? Die kann man wenigsten vor dem Kauf auf ihre Qualität durchblättern. In der lokalen Bücherei habe ich mir Bücher übers Zeichnen und Aquarellieren ausgeborgt, die mich aber mit dem schalen Geschmack des „Nicht-Ernstgenommen-Werdens“ und des Versuchs der Infantilisierung zurückgelassen haben. Nebenbei zeichne ich, doch immer auch auf der Suche nach Unterstützung durch den imaginären Zeichenlehrer. Gott hab ihn in seiner Selbstbezogenheit selig!
Doch wer viel suchet, der findet manchmal auch ein wenig Sinnvolles. Nicht nur über Technik und Material sondern auch über Wahrnehmung, Hintergrund und Weltaneignung. Zeichnen ist nicht nur eine Technik, sondern auch eine Haltung, die auf einem ausgeprägten Weltbild und Erfahrungshintergrund aufbaut und wohl auch zu beiden Wsentliches beiträgt. Yadegar Asisi etwa vertritt diese Ansicht, und er behauptet provokanterweise, dass Zeichnen die dritte unerlässliche Kulturtechnik sei, neben Lesen und Schreiben. So hat es sich auch für mich immer angefühlt; dass mir nämlich neben Lesen und Schreiben (beides betreibe ich intensiv), ganz dringend das Zeichnen gefehlt hat, um mich als Mensch zu „verfeinern“. Als eine kulturelle Mangelerscheinung erschien mir der Zustand, der mich lange quälte. Das fehlte mir zum Menschsein, so prätentiös das auch klingt. Warum aber die Kreativität der zeichnerischen Selbsttätigkeit für unsere, auch ganz persönliche „Kultur“ so wichtig sei, dafür hat Herr Asis auf seinem Kanal fünf Begründungszusammenhänge erläutert. Die da wären: Zeichnen als Naturstudium, als Denkinstrument, als Kommunikation, als Entwurf, als Selobsterfahrung und als Selbstausdruck. Doch folgen sie seinen Ausführungen lieber selbst: