
Oft treibt Schreiben das Nachdenken an und verknüpft so manches, was einem bislang als unverbunden erschien: wie eine Schwimmerin auf Hoher See treiben wir von Thema zu Thema, neue Wellenkämme kommen plötzlich in Sicht. Jede Schreibmüdigkeit ist nun vergessen, so etwas wie eine allesumspannende Manie tut sich auf und fordert ihren Tribut: weiter, weiter, weiter. Verzweigte Assoziationsketten entstehen, machen auf so manche, zunächst noch unerklärliche Knotenpunkte der Gedanken aufmerksam. Alles spielt zusammen: Erinnerung, Gefühl, Wünsche, kognitives Denken. Die Internet-Bibliothek ist dabei oft eine sinnvolle Ergänzung: Begriffe werden geschärft, Verständnis für unbekannte Sachverhalte geschärft. Manchmal sieht man am Wegrand etwas glitzern, das sich (möglicherweise sperrig) in das Mosaik einfügt und das Bild erweitert. Eine Landschaft hat sich aufgetan, auf hoher See. Das ist das Wunderbare am Schreiben: es ist ein aktiver Prozess und das Gehirn dabei ein Hochleistungsorgan. Nur bei geistiger Erschöpfung lässt man unwillig vom Schreiben ab.
Dabei braucht man gar nicht so weit gehen und dabei dem Verdrängten und Verbotenen freien Raum geben, in einer Art selbstgeleitetem psychoanalytischen Prozess: wir liegen ja nicht auf der Freudschen Couch des Bekennens und Gestehens. Auch der Methode der Surrealisten, dem Automatisiertem Schreiben ( Écriture Automatique) muss man sich nicht unbedingt hingeben. Denn wer wollte so schreiben wollen, wie Andre Breton es einst programmatisch gefordert hat:
* Setzen Sie sich an einem Ort auf, der der Konzentration des Geistes so günstig wie möglich ist.
Andre Breton: Surrealistisches Manifest, 1924.
* Betreten Sie den passivsten oder empfänglichsten Zustand, zu dem wir fähig sind.
*Auf das Genie, Talent und das Genie und Talent anderer zu verzichten.
* Sagen Sie immer wieder, dass Literatur einer der traurigsten Wege ist, die überall hinführen.
* Schreiben Sie schnell, ohne ein vorgefasstes Thema, schreiben Sie schnell genug, um nicht bremsen zu können und nicht versucht zu sein, das Geschriebene zu lesen.
*Lassen Sie sich den ersten Satz kurz und bündig in den Sinn kommen.
* Schreiben Sie weiter. Vertrauen Sie auf die unerschöpfliche Natur des Gemurmels.
* Wenn die Stille aufgrund eines Mangels droht, müssen wir „mangelnde Unaufmerksamkeit“ nennen, hier unterbrechen.
* Folgen Sie dem Wort und setzen Sie einen beliebigen Buchstaben, um zum Zustand der Willkür zurückzukehren.
Man hat noch einen weiten Wg vor sich, Schreibgelegenheit reiht sich an Schreibgelegenheit. Nur wer geduldig mit sich ist und unermüdlich im täglichen Schreibgeschäft, der wird mit Einsicht in sein Tun und neuer Erkenntnis belohnt werden. Keine Psychoanalyse, kein automatisiertes Schreiben: wir sind bescheiden und verhalten uns wie LangstreckenläuferInnen. Ganz einfach unspektakulär einem Pfad folgen, einer Fährte, einem Gefühl nach Selbstvergewisserung. Man schreibt das, was einem einfällt und interessiert und ganz von selbst ergeben sich Stationen, Struktur und Ziel. Und man bewahrt den langen Atem.
So geht es derzeit in meinem Blog voran, auch wenn es für Aussenstehende nicht so aussieht. Ich lasse mich treiben auf meiner Entdeckungsreise. Letztens habe ich versucht, ein Assoziationsschema zu zeichnen, eingebettet in einen zeitlichen Verlauf, in einem Zeitraum von Ende September 2021 bis in die Gegenwart. Manches, das ich auf dieser Reise gelernt habe, resultiert in einem Posting auf diesem Blog, manches bleibt einfach ungenutzt an der Oberfläche meines Bewusstseins, manches rutscht ab ins Vergessen. Es ist wie bei einer Wanderung: immer wieder Neues auf dem Weg.
22.1o.2021 Spaziergänge in der Umgebung -> Die Absicht, mich der Steinmalerei zu widmen -> Sammeln von Steinen am Ufer der Murg -> Besuch der Ausstellung zur Land Art Richard Longs am Kunstmuseum Winterthur -> Ideen für ein Land Art Projekt (verschoben!) -> Nachrichten von der COP26 in Glasglow -> Beschwörung der Zielgerichtetheit und Implementierung der Ergebnisse des COP26 -> "Entdeckung" des traditionellen japanischen Pfeilmuster "Yasaguri" -> Verschiedene Skizzen, darunter das Mosaik #3 "Entschlossenes Vorgehen" als Muster für eine Land Art Aktion an der Thur -> Durchsicht weiterer japanischer, traditioneller Muster -> Japanisches Wellenmuster "Seigheia": Dabei Assoziationen zum Pazifikkrieg und zu Fukushima - Tangle #37 Sea near Fuskushima -> Klassisches Tsunami Bild "Die große Welle vor Kanagawa" von Katsushika Hokusai -> Der Tsunami als Erscheinung des Japanischen Meers -> Der kanadische Fim "Debris" -> ........
Plötzlich ist er da, der Tsunami, ähnlich wie bei jenen japanischen Fischern, die auf hoher See nichts von der sich aufbauenden Welle spürten und erst bei ihrer Rückkehr im Hafen, sahen, welche Verwüstung diese „Hafen – Welle“ („TSU – NAMIE“) angerichtet hatte. Wie frei und wie gerichtet zugleich sich Bewusstsein formiert – über alle Grenzen und Strukturen hinweg. Fast möchte man Freuds Begriff vom ozeanischen Gefühl verwenden, wäre er nicht schon stigmatisiert.
So also lande ich bei jenem Mann, der Schwemmholz an der Küsrte Kanadas sammelt und damit in einer Art Freiluftmuseum eine riesige Welle baut. Doch davon mehr im nächsten Beitrag.
Zitat: C.G. Jung
„Am Traum hängt die ganze Welt“.
Wer das Naturereignis ernst nimmt
der muss sich der Vielfalt
der Ereignisse
da wo wir nicht der Author sind
im Drama der Seele
indem wir
nur eine Nebenrolle spielen
dem kommen die Bilder
die Geschichten
der Menschheit entgegen
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Hmmmmmm, versteh es nicht. Vielleicht fehlt ja auch ein Verb?
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