Kinder mit einer Perchtenmaske. Brünn, 1956. Wikimedia Commons.

Befragt man Google, so sieht man, welch goldenes Geschäft sich entlang der Rauhnächte entwickelt: allerorten tauchen Ratgeber auf für die magische Zeit rund um Weihnacht. Und natürlich wird die Zahl 12 bemüht, ein Countdown der Selbstgerechtigkeit daraus entwickelt. Man tut so, als wäre die Differenz zwischen Mondjahr und Sonnenjahr, also die Anzahl unserer in Besprechung stehenden Tage, etwas, das in der Welt ein Fehlen, ein Vakuum, eine Chance darstelle, das mit Räucherwaren und innerer Einkehr zu füllen sei. Jede Nacht ein Entwicklungsschritt, jede Nacht ein dem Mythos Nachspüren, jede Nacht etwas Besonderes, Zauberhaftes, von Weisheit Getränktes. Jede Nacht auch gewinnbringend für Konsument und vor allem Anbieter. Individuelle Sinnsuchen finden statt, unter Anleitung der vertrauensvollen Lebensberaterin, nach selbsterfundenen Motti, die da wären: Die eigenen Wurzeln, Innere Führung, Selbstliebe, Vergebung, Verbundenheit, Versöhnung, Wandlung, Neubeginn, Vision, Wachstum, Loslassen und Ganzheitlichkeit. 12 Rauhnächte, 12 Rituale, 12 Räuchermischungen und 12 Harmoniebedürfnisse. Das alles klingt im ersten Moment gut, denn eine Auszeit macht doch jede/n froh. Lebensberatung, esoterische Anweisung und rituelles Vorgehen geben dabei den Takt vor: „Alte Bräuche im Jahreskreislauf haben eine in sich wohnende Weisheit, die sich nach dem Rhythmus der Natur bewegt, der heilsam wirken kann, gerade in unserer hektischen Zeit.“ Und das muss angesprochen und angezapft werden: die mythische Zeit, um persönlichen Vorteil und Wohlergehen für die Welt zu erlangen. Viel Erfolg dabei!

Aber kann etwas werden, wo nichts ist? Kann aus Ausgebranntheit und Sinnentleertheit Richtung und Sinn entstehen, aus Selbstgerechtigkeit Weltenliebe, aus Egoismus Gottvertrauen? Und kann dies durch den Mythos der Rauhnächte hindurch geschehen? So lautet jedenfalls das Versprechen, das gerne medial und seminarbezogen vorgetragen wird. Wenn es draussen graut, hat man gerne, dass wir uns auf den Weg der Heilung begeben können.

Wahrsagen in der Rauhnacht, russische Zeichnung, Wikimedia Commons.

Dieses Blog indes lässt den Schrecken der Rauhnächte und das böse Grinsen der Geister noch ein wenig auf sich wirken; wir begehen die Nächte nicht als Lifestyle – Event oder Weihnachtsbrimborium. Wider besseren Wissens freilich, denn alles um uns herum drängt zum Klischee der Weihnachtsharmonie. Geschmückt sind die Blogs mit Weihnachtskugeln, grünem Blattwerk und gemessen – feierlichen Glückwünschen. Heilige Zeiten! Alle wollen und sollen sich lieb haben, wenigstens einmal im Jahr, dann wird wieder gehasst. Doch Selbsterhöhung durch soziales Wohlverhalten ist unsere Sache nicht. Wo wäre die Heilung, gäbe es nicht auch die langanhaltende Krise? Wer könnte geheilt werden, hätte er nicht in die Fratze des Wahns gesehen und sich selbst beschädigt? Da öffnet sich das Tor zum Schrecken sperrangelweit und wir weigern uns, näher hineinzusehen. Stattdessen soll uns die Sicht mit Weihrauch vernebelt werden. Einhalt bieten dem Schwefelgeruch, das wollen so viele, Ausräuchern das Böse, prophylaktisch vielleicht fürs ganze Jahr? Doch überstürzt panische Abwehr des Schreckens war noch nie eine Lösung. Das Böse ansehen ist hingegen empfehlenswert, weil es die Wahrheit widerspiegelt. Was wir hier behaupten können: Livestyle ist im Grunde Teufelswerk, eines vom Hintertriebensten, weil es die Eitelkeit bedient und das Sensorium für Wahrheit betäubt. Wir wollen uns indes nicht vernebeln lassen, durch Gesegnet – Rauhnacht – Weihnacht – Trallalla.

Schaun wir also hin. Wenden wir uns einem scheusslichen Drama zu, das heute längst vergessen ist, samt seinem längst verstorbenen Autor Richard Billinger. Ein Oberösterreicher, ein Blut und Boden Autor, ein Nazi-Mitläufer. Das Stück heisst Rauhnacht und der Text ist nur mehr antiquarisch zu beziehen. Das wirft uns aktuell zurück auf eine Inhaltsangabe, auf Erfahrungen aus zweiter Hand. Dennoch wird der Sog des Bösen sofort spürbar:

Im Dorf haben sich Reste heidnischen Brauchtums durch das gesamte Mittelalter hindurch bewahrt und existieren neben den vorherrschenden christlichen Bräuchen. So werden hier die Rauhnächte besonders begangen, eine Zeit, in der die wilden, geheimen Triebe zum Ausbruch kommen dürfen. In dieses Dorf kehrt der dort geborene und aufgewachsene Simon Kreuzhalter zurück, der als ehemaliger Bauer noch vor seiner geplanten Priesterweihe als Missionar nach Afrika gegangen war. Er hat sich in dieser Zeit verändert, die orgiastischen Feste der Eingeborenen kennengelernt und mitgemacht und angefangen, deren heidnische Bräuche für sich zu entdecken und zu verstehen. So kann er sich nach seiner Heimkehr nicht mehr wirklich dem Dorf und seinen Menschen zugehörig fühlen und wird aufgrund seiner grüblerischen Art für einen Sonderling gehalten und ausgegrenzt. Die Tochter der Dorfkrämerin, Kreszenz, die auch zuvor schon eine Weile in der Stadt gearbeitet hat, ist besonders wild und heißblütig und lässt sich von Simons Erzählungen von den Wilden in Afrika besonders faszinieren. In der Rauhnacht lässt sie sich darauf ein, ihn in seine Schlafkammer zu begleiten. Während draußen die Menschen in Maskenzügen zu dumpfen rhythmischen Trommelschlägen durch die Gassen ziehen, steigern sich Simon und Kreszenz in einen wilden Rausch, in dessen Verlauf er sie ersticht. Simon setzt daraufhin sein Haus in Brand, und die ekstatisch feiernden Dorfbewohner begrüßen dies zunächst als „Fanal entfesselter Triebe“. Als die Bauern jedoch herausfinden, dass das Feuer nur dazu dienen sollte, einen Mord zu vertuschen, greifen sie Simon an, verfolgen ihn und jagen ihn, bis er schließlich in den Fluss stürzt und im eisigen Wasser ertrinkt.

Wikipedia: Rauhnacht (Drama)

Da haben wir wieder den tödlichen Rausch der Sinne: gern gesehen vom damaligen Theaterpublikum, welches auch zu Feiertagen gerne dem Gruseln nähertrat. Es war die Zeit des Symbolismus, die Zeit eines Freud und eines Kafka. Und wo könnte das sinnlich Unermessliche, das Abgrundtiefe den besser aufgehoben sein als im Aberglauben des gemeinen Volkes, in religiöser Verirrung, in den Riten und Entgleisungen der „primitiven Schwarzen“, in der Lust und den sinnlichen Entgleisungen der Frau und schliesslich in unser aller Unbewusstem. Das Stück feierte Erfolge, hat doch der Autor den Naturalismus eines Gerhart Hauptmann überwunden und sich hingewandt zum Trend seiner Zeit: dem Dämonischen, dem Trieb, dem Bösen, dem Irrationalen. Es war indes auch die Zeit des rapide sich entwickelnden Faschismus.

Jetzt hat der Autor dieses Drama sicher nicht gegen den Strich des Publikumsgeschmacks geschrieben, vielmehr war er einer, der sehr wohl auf die verqueren Bedürfnisse des Theaterpublikums zu lauschen imstande war. 1931 wurde das Stück an den Münchner Kammerspielen uraufgeführt und versammelte ehemalige Schauspielergrössen wie Ewald Balser und Käthe Gold. Für die Bühnenausstattung zeichnete Alfred Kubin verantwortlich. Billinger wurde für das Drama mit dem Kleist- Preis ausgezeichnet und avancierte ab nun zum gefragten Bühnenautor. Und auch Kritiker stellten sich ein: jene, die ihm die Trivialisierung bäuerlicher Vorstellungswelten vorwarfen und als Konjunkturdichter bezeichneten. Auch die Nachwelt konnte nicht umhin, Billinger als Repräsentant der Blut und Bodenliteratur zu bezeichnen.

Mit der Erwähnung der Aufführung seines Stückes in München sind wir in unserer Schau des Geheimnisvollen, gruseligen und Abgründigen bei Alfred Kubin angelangt. Kubins Traumvisionen und seine Phantasien vom Untergang des Menschen passten gut zu Billingers Dramen. Tatsächlich verbanden Billinger und Kubin nicht nur eine Arbeitsbeziehung, sondern auch eine Freundschaft. Billinger soll Kubin sogar ein paar seiner Gedichte gewidmet haben.

Mehrere Jahre zuvor, im Herbst 1924 entstehen am Wohnort Kubins, auf Schloss Zwickledt in Oberösterreich, schon die 13 Werke der Mappe „Rauhnächte“.

Alfred Kubin: Vampyre. Aus der Mappe „Rauhnacht“, 1925

Ein Fiebertraum Kubins soll der Auslöser für diese Zeichnungen gewesen sein, Kubin schreibt darüber in seiner Autobiographie, die mir leider nur auf Englisch vorliegt:

„My Rauhnacht came about in a curious fashion. One night in the fall of 1924 I awoke with severe chills and a temperature of almost forty degrees centigrade. As I lay there half delirious with fever, I found myself surrounded by a crowd of strange figures against a familiar and pleasing landscape; in the morning I sketched all this while I still lay in bed weakened by grippe. A picture strip five yards long resulted, and this was published by the Wegweiser Verlag—unhappily chopped up into thirteen single plates.“

Alfred Kubin: Autobiography.

Wie durch ein Wunderfernrohr (Blatt 1) blickt der Zeichner auf die wundersame Welt der Rauhnächte. In 12 weiteren Steinlithografien zeigt er uns die wundersame Welt des Anderen, des Aberglaubens, des Jenseitigen, eigenartig vermengt mit seiner näheren Wohnumgebung in Oberösterreich. Die Blätter heissen Circe, Hexenküche, Verliebte Zauberer, Behemoth, Ein Wirtshaus am Donaustrand, Schloss Zwickledt, Vampyre, Leviathan, Der Fang, Kameraden, Der Mühlteich, Die Müllerin.

Und ein wenig später vermerkt er in seiner Autobiographie di Arbeit an der Bühnenausstattung von Billingers Stück:

And so I gladly accepted a commission to design the sets for a production of a powerful, elemental peasant drama by Richard Billinger, Rauhnacht. It was thus that in the course of the present year a series of color drawings were created for the Munich Kammerspiele.

Alfred Kubin: Autobiography.

Womit wir wieder bei den Visionen Richard Billingers wären und bei den Phantasien, die die Rauhnächte hervorzubringen vermögen. Visionen allerdings, die den alternden und schnell in Vergessenheit geratenen Bühnenautor bis zum Ende gequält haben mochten. In den Gaststätten soll der mittlerweile schwer alkoholkranke Autor dabei beobachtet worden sein, wie er volltrunken und lautstark seine Gedichte vor einem halb belustigten, halb angeekelten Publikum vorgetragen habe.

 Rauhnacht:  Der blutige Tomerl * Das Wilde Heer * Über Rauhnächte