
Was wären die Rauhnächte ohne den Perchtenlauf, in manchen Gegenden Österreichs auch „Perchtentanz“ oder „Perchtenspringen“ genannt. Letztere beschreibt das österreichische Musiklexikon auf folgende Weise:
Die Tänzer treten in kostbaren rot-weißen engen Männergewändern mit hahnenfedergeschmückten Bänderhüten auf. Ein wesentliches Kennzeichen ihres Tanzes ist das „Trestern“, das rhythmische Stampfen des Bodens, das passagenweise ohne Musikbegleitung geschieht und als rituelle Gebärde (Anregung für die Fruchtbarkeit des Bodens) gedeutet wird.
Perchtentanz. In: Österreichisches Musiklexikon.
Ganz gleich aber, wo wir uns befinden, in Österreich, Süddeutschland oder der Schweiz, der Perchtenlauf ist weithin, landauf, landab als Touristenattraktion verbreitet. Brauchtum ohne Augenzwinkern mit dem Fremdenverkehr gibt es immer seltener. Zwiespältig und eher unbehaglich ist dieses aber nicht dem Gast, der staunt und seinem Exotismus frönt, sondern meist nur dem, der mit der Percht aufwachsen muss. Letzere/r hat unter Umständen seine unfreiwillige Immersion in die Zumutung heimischen Brauchtums aufzuarbeiten. Nicht jedem ist bei der latent gewalttätigen Belustigung durch die Perchten wohl zumute, draussen in der Finsternis, im Schnee und in der Kälte. Jederzeit die Gefahr, von einem Perchtenträger eins übergezogen zu bekommen. Und voller Schrecken die diesbezügliche Erinnerung an die Kindheit, als man den Bedrohungen durch die Erwachsenen ausgesetzt war, die derartige Figuren als Instrumenter Schwarzer Pädagogik eingesetzt hat.

Der 1975 in Hallein geborene Künstler Thomas Hoerl ist einer von jenen, die ihre ambivalente Gefühle der Percht gegenüber ästhetisch aufarbeitet. Obwohl er sich recht eingehend in seiner künstlerischen Arbeit mit dem Brauchtum seiner Heimat Hallein beschäftigt (hat), bleibt er merkwürdig distanziert zu seinem Gegenstand:
Bei den Perchten fasziniert mich extrem der Ursprung dieser Perchten, nämlich die Frau Percht, die eigentlich eine weibliche Figur ist und im Laufe der letzten Jahrhunderten „umgemodelt“ worden ist in diverse Nebenfiguren, die mittlerweile alle als Perchten bezeichnet werden. Ausgangspunkt dieser Serie von Arbeiten war die Erinnerung an die eigene Kindheit, weil dieses Brauchtum in meiner Kindheit eigentlich nicht sichtbar war, sondern sich mehr über die Sprache vermittelt hat. Ich finde, dass sich über die Sprache allein, etwa über Erzählungen darüber, dass die Frau Percht oder die Habergeiss in der Nacht kommt und dir den Bauch aufschneidet und dir dein Spielzeug einnäht, wenn man das Kinderzimmer nicht zusammenräumt. Durch die physische Abwesenheit dieser Figuren verstärkt sich eigentlich ihre Präsenz. Das war der Ausgangspunkt zu einer Serie von Arbeiten, die sich anfangs eher mit diesen Angstmomenten beschäftigt haben. Jetzt gehe ich eigentlich mehr abstrahierter damit um bzw. arbeite im Reenacting Bereich, wo ich Brauchtum in meiner eigenen Art und Weise nachstelle. Ich finde die Ähnlichkeit des Brauchtums mit der Bildenden aber auch der Darstellenden Kunst sehr spannend. (…) Es ist ein komischer Zwiespalt: ich bin extrem angezogen davon, aber gleichzeitig auch extrem angewidert. Es gibt immer beides.
Thomas Hörl. Videoportrait von Marlies Pöschl. Vimeo, 2011. (Interview, wurde von tinderness sprachlich bereinigt)
Dankenswerterweise sind manche der Videoarbeiten von Thomas Hörl auf Vimeo abrufbar. Ich möchte davon zwei Videos herausgreifen, die seine ausführliche Beschäftigung mit dem Tresterer-Tänzer Matthias Eder widerspiegelt. In seinem Video Matthias 1 kreiert er auf Basis eines ethnographischen Films aus dem Jahr 1939 ein Reenacting Verfahren, das mit Überblendungen des Originalfilms arbeitet. Der Künstler in der Verkleidung des Hanswurst stellt die originalen Tanzschritte nach, interagiert mit ihnen, macht ihn (wie der Künstler selbst sagt) an, kommuniziert durch Bewegungen und Gesten mit ihm. Das zweite Video zum Thema mit dem Titel Matthias 2 nimmt nicht nur auf die ursprüngliche Videoarbeit Bezug, sondern ist auch eine Art Making Of der Ausstellung aus dem Jahr 2017 im Wiener Volkskundemuseum.
Diesem Ausstellungskatalog habe ich auch die Überschrift zu diesem Text entnommen: Autochthone Exotismen. Er wurde von Vitus Weh geprägt, der in seinem Aufsatz „Tresterer Autoerotik“ über die Arbeit Hörls folgendes festhält:
Er (d.i. Thomas Hörl) hat lokale Brauchforschung betrieben, sie mit persönlichem Reenactment erfüllt und zugleich in die popkulturelle Gegenwart katapultiert. Das Ergebnis ist ein bunter Strauß an „autochthonen Exotismen“. (…) Der Fokus, den Thomas Hörl auf das Material legte, bezieht sich vor allem auf den Aspekt der Autoerotik, der beim Tresterer-Tänzer mit seinem kapriziösen „Brokatkostüm“ und seinem überbordenden Kopfschmuck kaum zu übersehen ist.
Vitus Weh: Tresterer Autoerotik. Zur Ausstellung „Matthias“ von Thomas Hörl. 2017
Natürlich, auch so kann man den Perchtentanz und mithin die Wirkung der Frau Percht in männlichem Gewand sehen: als autoerotischen Tanz, den Hörl mit seinen filmischen Überblendungen in ein homoerotisches Tanzritual überführt. Aber bilden Sie sich selbst ein Urteil:
Recherche:
Mathias tanzt: Salzburger Tresterer on Stage. Wiener Volkskundemuseum, 2017. Ausstellungskatalog (-> pdf download).
Rauhnacht: Der blutige Tomerl * Das Wilde Heer * Über Rauhnächte * Pamelot * Autochthone Exotismen *