Von den gottlosen Hexen. Flugschrift, 1571

Chor der drei Hexen:
Unheilsschwestern, Hand in Hand
Ziehn wir über Meer und Land, 
Rundum dreht euch so, rundum: 
Dreimal dein und dreimal mein, 
Und dreimal noch, so macht es neun – 
Still! – Der Zauber ist geknüpft.

William Shakespeare: Macbeth.

Zur Erinnerung: Am Beginn des Dramas „Macbeth“ treten drei Hexen zusammen, gleichsam zum üblen Vorspiel einer dunklen Zukunft. Während der Fluch der Hexen den Fortgang des Stückes vorantreibt und von König Macbeth und seiner Gemahlin nicht ablassen mag, scheint auch das Theater selbst bei solchen Gelegenheiten verflucht zu sein. Der Theaterverlag hat da ein aufschlussreichen, wenn nicht ganz ernstgemeinten Text veröffentlicht, unter dem Titel „Das schottische Stück. Aberglaube im Theater.“ Dort wird beteuert, dass „Shakespeare angeblich seinen Hexenfiguren «echte» Beschwörungsformeln in den Mund gelegt haben (soll), die durch das Rezitieren auf der Bühne ihre dunkle Magie entfalten.“ Hexenfluch also unter Schauspielern und Publikum? Ist bei der nächsten Aufführung von Macbeth mit Üblem zu rechnen?

Was aber macht die Hexen aus, abseits des Alltagsgebrauchs, der sich in Bezeichnungen wie Wetterhex, verhext oder Hexenbesen erschliessen lässt? Es fallen einem zunächst die Hexenverfolgungen an der Schwelle zur Neuzeit ein. Ohne diese näher erklären oder deuten zu wollen – Literatur darüber gibt es zuhauf – schwenken wir hin zu einem heute einem esoterisch genutzten Hexenbegriff über der im Wesentlichen auf dem von G.B. Gardener, dem „Vater der modernen Hexerei“ beruht. Nach ihm sind im Besonderen nach dem Zweiten Weltkrieg die unterschiedlichen Traditionen der Wicca formuliert worden:

Witchcraft is, and was, not… for everyone. Unless you have an attraction to the occult, a sense of wonder, a feeling that you can slip for a few minutes out of the world into the world of faery, it is of no use to you.

G.B. Gardener

Es gibt sie also noch immer, die Tradition der Hexerei und damit auch jene die diese auszuüben glauben: die Hexen und Hexer – wenigstens in einem Randbereich neopaganer Vorstellungen, die dort ihre jahrhundertealte Tradition behaupten, wo sie mit ihrer Bewegung Bedeutung erlangen wollen.

Viel weiter verbreitet als die Erinnerung und das Reenactment von Hexenkulten ist aber die mit der Emphase des Sakralen vorgetragene Selbstbezeichnung von Frauen, die sich die Hexe arrogieren. Wir kennen sie alle, die Winkel des Internet sind voll davon. Wohlig spielt man dort mit dem Scheiterhaufen, der einen selbst den Nimbus der Verfolgten, Geheimnisvollen, sich aus eigener Kraft sich selbst befreienden Persönlichkeit gibt. Fehlgeleiteter Feminismus scheint in Querdenkerzeiten nur schwer ohne die Berufung auf Dämonisches, auf den Kult, auf das Ursprüngliche auskommen zu können. Während man gehemmt ist, die gesellschaftlichen Misstände zu kritisieren, ist man umso enthemmter im Glauben an die Magie. Usurpieren muss man deshalb auch die der Wicca entnommenen oder dem Brauchtum losgeeisten, wenn auch nur vermuteten magischen Macht. Denn was noch nicht ist, kann wohl noch werden. Dabei kommt beim eigenen Publikum die Konnotation mit Kräutern („Kräuterhexen“) an, ebenso der Hinweis auf Magie („Ausbildung zur Hexe“), der angestrebte Lifestyle (Hexenkleidung und Hexenausstattung) und die Vereinigung mit der „bösen“ oder „guten“ Natur. Weiberkram möchte man abfällig sagen, wäre man nicht gehalten, politisch korrekt auszusprechen, was man inkorrekterweise trotzdem denkt.

Auch in den so beliebten Fantasy-Produktionen der Film- und Gamingindustrie tummeln sich die Hexen (und sogar The Witcher) zuhauf: aber diese Serien und Stand – Alone- Produktionen zu beschreiben, dafür ist hier wahrlich Ort und Zeit zu schade. Irgendwann wächst man als Jugendlicher auch aus den magischen Schuhen heraus, so wie die Crew der Harry Potter Filme aus ihren Rollen. Und selbst das moderne und vom kapitalistischen Verwertungszwang in die Mitte unserer Gesellschaft hineingetriebene Halloween kennt Hexen in phantasievoller Verkleidung. Doch auch dieses besitzt kaum den Wert, um hier genauer beschrieben zu werden. Süsses oder Saures ist wohl auch nicht viel mehr als ein modernes Märchen für dumme KonsumentInnen und deren tyrannischen Kinder.

Wenden wir uns lieber wieder den Dämonen zu, die in den Rauhnächten wüten und dem Fluch, mit dem sie uns verfolgen können und das Böse, das sie in uns hervorbringen zum Nachteil der Welt. Denn wenn wir schon nicht an den dämonisch angehauchten Unsinn glauben, so glauben wir zumindest an die tiefsitzende Angst des Menschen vor den Abgründen in sich selbst: und hier haben Hexendinge ihren angestammten Platz. Das behauptet zumindest ein Film mit dem Namen Hagazussa, der zu den stärksten und ästhetisch anspruchsvollsten seines Genres gehört, den ich in letzter Zeit betrachten durfte. Gedreht in Zeiten der Pandemie vom Österreicher Lukas Feigelfeld verweist er auf den latenten Horror, der in uns allen wohnt und von dem die oben erwähnten kindischen Phantastereien über die Hexe eigentlich nichts wissen wollen. Er bringt uns zurück ins 15. Jahrhundert und siedelt dort das Schicksal einer alleinerziehenden Frau an, die in einer der Rauhnächte den Perchten begegnet. Sie wird ihrer ansichtig und nimmt ungewollt und unbewusst den Hexenfluch auf, der sowohl ihr Leben als auch das ihrer Tochter zerstören wird. Ein Mann im Wald hat sie davor gewarnt, sie aber hat ihn damals noch verlacht:

„Miaßt’s schaugn, daßt’s es hoam kimmts. Es wird scho ganz fins[t]a. Und a Rauhnacht is aa heit. Miaßt’s geh, da[ß] eng Pircha ned derwischt!“ (Ihr müsst zusehen, dass ihr heimkommt. Es wird schon ganz finster. Außerdem ist heute Rauhnacht. Ihr müsst los, sonst werdet ihr noch von der Perchta geschnappt!“).

zitiert nach Fluxkompensator

Auch vor dem Film ist zu warnen. Nicht etwa weil er das Motiv des Fluches und der Hexe platt und gewissenlos nutzen will, um daraus ein geschmäcklerisches Etwas zu machen. Das ist schon die Aufgabe präpotent-dümmlicher FilmproduzentInnen. Das Gegenteil ist der Fall. Indem dieser Film den Schrecken der Percht ernst nimmt und auf eine bislang ungesehene Art und Weise auslotet, ergibt er sich dem bösen Zauber. Was es bedeuten könnte, den Hexenfluch tragen zu müssen, oder gar Hexe zu sein, das bringt er uns nahe und verstört uns auf eine krude, und auch geschmacklose Weise. Doch keine Angst, hier wird nicht gespoilert, sondern bloss auf den Film verwiesen, der gerade auf Netflix läuft. Aber urteilen Sie selbst:

Rauhnacht:
Der blutige Tomerl * Das Wilde Heer * Über Rauhnächte * Pamelot * Autochthone Exotismen * Percht und Hexenfluch *