Michelangelo: Groteske Köpfe und weitere Studien, ca. 1525

Der Hassreden gibt es viele in Zeiten wie diesen und ganz speziell in Zeiten von Corona. Was werden sie tun, die Hassprediger aller Coleur, wenn sich die Pandemie zur Epidemie und diese zur Allerweltserkrankung gesundgeschrumpft hat. Was werden sie tun? Wie, bitte, werden sie dann ihre Neurosen abarbeiten dürfen?

Erst kürzlich kam mir wieder ein Stück dummer Hasstirade zu Augen und Ohren, diesmal von einer sgn. Literatin und Kabarettistin vorgetragen, die laut Wikipedia künstlerisch mit Josef Hader und Thomas Bernhard verglichen werden könne: Stefanie Sargnagel (=Künstlername!). Der Josef Hader könnte, aber will sich wahrscheinlich nicht gegen diesen Vergleich wehren, der Thomas Bernhard, der seine unermessliche Wut niemals vulgär und immer literarisch vorgetragen hat, dreht sich nicht einmal mehr im Grabe um. Wer bitte, schreibt solche Beiträge auf Wikipedia?

Einem Artikel in der österreichischen Tageszeitung Der Standard entnehme ich, dass Frau Sargnagel sich „als treffsichere Kritikerin der Esoterikszene einen Namen gemacht hat„. Das sagt zumindest der Journalist Markus Sulzbacher. Die Bildredaktion des Standard steuert ein Bild bei, auf dem ein Schild zu sehen ist, das in grossen handgeschriebenen Letter den Slogan zeigt: Esoterik tötet. Nein, es ist nicht das Virus, das tötet, es ist tatsächlich die Esoterik! Jetzt haben wir noch gar nicht die Sargnagelsche Rede gehört, wissen aber bereits, wohin der Hase läuft: zur Hinrichtung von Tante Gundula und den schrulligen Beamten.

Der Reflex der Linken auf Esoterik ist weder überraschend noch besonders originell. Er bedient seit Jahren derselben Klischees, die eine/r vom anderen abschreibt und daher auch nicht faktisch zu begründen braucht. Und doch hat sich die Linke immer noch nicht abgearbeitet, weiss auch nicht so recht, wer Esoteriker ist und wer nicht. Ist es eigentlich auch der Didgeridoo – Spieler in der Strassenunterführung? Laut Frau Sargnagel schon. Auch der Dreadlock-Johnny von nebenan. Namentlich müssen sie zur Verantwortung gebracht werden, wütet Frau Sargnagel. Arme Linke! Gibts nichts Besseres zu tun? Esoterische Strömungen zu kritisieren ist wohl eines, und man mag hier argumentieren wie man intellektuell eben kann. Gegen ihre VertreterInnen zu hetzen und sie persönlich beim Namen zu nennen ist das Andere. Das aber geht gar nicht.

Hasstiraden sind ein No Go. Man hetzt nicht auf gegen Andersdenkende. Das ist etwas, was Demokratie aus der Geschichte der Bürgerkriege wohl gelernt hat. Man kritisiert scharf, wenn es notwendig ist, verlässt aber weder den Boden der Achtung vor dem/der Anderen, noch pauschalisiert man generell, noch vergisst man den guten Ton. So wurde es mir beigebracht, als Enkelkind von internierten Sozialdemokratinnen der Zwischenkriegszeit in Österreich. Das mag in Zeiten der argumentativen Niveaulosigkeit und des nicht enden wollenden Verbalradikalismus naiv erscheinen. Dennoch frage mich: sind die linken Schwurbler besser als die rechten Schwurbler? Tragen sie weniger zur allgemeinen Vergiftung des gesellschaftlichen Klimas bei als die VerschwörungstheoretikerInnen? Oder ist einer so verantwortungslos wie der andere? Und warum rasten immer nur alle verbal und öffentlich aus? Gibts keine Triebkontrolle mehr? Oder ist man so verzweifelt, weil man die Kränkungen der Pandemie nicht erträgt und die eigene Resilienz schon längst erlahmt ist?

Das erste Mal so richtig unangenehm aufgestossen ist mir das hetzerische Element linksliberaler Wutbürger in Sascha Lobos Sager von der Denkpest, die unter den Coronaleugnern und ImpfgegnerInnen seinem Empfinden wohl herrschen würde. Kopfschüttelnd schrieb ich den entsprechenden Glossareintrag. Dennoch: Aus heutiger Sicht erscheint mir seine Tirade als mit geradezu intellektueller Klinge geführt. Frau Sargnagel klingt da ganz anders und fast hätte ich sie mit Frau Jennifer Klauninger verwechselt: kippende Stimmen, redundante Argumentation, zitterndes Timbre, Strassenkämpferinnenattitüde und vor allem: Antiintellektualismus. Da stehen sie auf der Ladefläche von Kleintransportern und peitschen die Menge auf. Es gilt das gesprochene Wort:

Es ist die Gefahr der Esoterik, die unter uns ist. Ich möchte euch aufmerksam machen auf die dunklen Ecken des Bio-Supermarkts. Ich möchte aufmerksam machen auf die Menschenverachtung von den ??? Schwingungen (unverständlich!), den Abgründen der Anthroposophie und das Unheil der Homöopathie. Es ist kein Zufall, dass man die esoterische Szene heute Händchen haltend mit Faschisten durch unser Wien spazieren sieht, liebe FreundInnen. Diese Verbindungen haben Geschichte. Denn Esoterik ist mitnichten nur ein schrulliges Hobby gelangweilter Beamter. Esoterik ist nicht einfach nur ein liebenswerter Spleen von Tante Gundula. Esoterik ist ein Betrug, Esoterik ist eine Industrie verlogener Scharlatane, Esoterik ist wissenschaftsfeindlich und soziopathisch. Esoterik ist Sabotage unserer Bildungsinstitutionen. Esoterik ist ein Nährboden für Verschwörungstheorien, Apolitisierung und Entsolidarisierung, liebe Freundinnen. Esoterik war schon immer durchzogen von Sexismus, Rassismus und Antisemitismus. Deshalb sage ich hier und heute: Nieder mit New Age! Weg mit der Wünschelrute!

Stefanie Sargnagel anlässlich einer Antifa-Demo am 4.12.2021 in Wien

So weit zur treffsicheren Kritikerin der Esoterikszene, Herr Sulzbacher! Was hat ihr Tante Gundula wohl angetan, was der schrullige Beamte? Und was ist mit ihr in den dunklen Ecken des Bio-Supermarktes geschehen? Wird sie abends heiser sein, vom eigenen Wutgebrüll? Und darf sich Herr Sulzbacher sorgsamen Umgang mit seiner medialen Verantwortung nachsagen lassen?

Wenn das der antifaschistische Kampf auf unseren Strassen sein soll: Na, dann Gute Nacht, Demokratie. Und auf alle Fälle: Nieder mit der infantilen Weltrevolution!