
„Das ist eine Übung in Demut!“ So hat es meine Partnerin genannt, was ich gestern nachmittags auf unserer Terrasse tat. Es galt, eine mehr als zwanzig Jahre alte Thuje (dt. Übersetzung = Lebensbaum!) aus einem Betontrog auszugraben, um sie durch einen Strauch zu ersetzen. Der Baum war am Absterben und seine Nadeln waren braun und unansehnlich. Traurig hängen sie herab, konnten das Auge nicht mehr erfreuen. Seit Jahren schon haben wir seinen Verfall mitangesehen. Nun war es so weit, endlich!
Verhältnismässig rasch war der Baum umgeschnitten: das Holz hatte schon an Kraft verloren und selbst das bei der Arbeit unangenehme Harz hielt sich in Grenzen. Einen kleinen Stumpf liess ich stehen, um so für das späteren Rausheben des Baumstumpfes mehr Angriffsfläche zu haben. Bald war der sichtbare Baum abgetragen, das gewonnene Holz lag gepackt in unserem Grünsack und wartete auf den Abtransport.
Der Betontrog, der die Wurzel des Baumes barg, ist rund 2 Meter lang, einen halben Meter hoch und ebenso breit. Da die Erde bereits stark verdichtet war, begannen auch die mitgepflanzten Bodendecker abzusterben: es war zudem durch die verdichtete Erde unmöglich, neue Pflanzen neben dem Baum einzusetzen. Nichts ging mehr. Um den Halbschatten des sterbenden Baumes auszunutzen, stellten wir kleine Töpfe mit Rosmain, Minze, Thymian und Bohnenkraut auf die Erdoberfläche neben ihn. Das erinnerte ein wenig an gesundes Pflanzenleben und verbesserte unser Guthaben an frischen Kräutern in der Küche. Daneben starb der Baum vor sich hin, unübersehbar, unaufhaltsam, herzzerreissend.
Als ich mit zwei Arten von Spaten, einem Brecheisen, mehreren Messern und Gartenscheren bewaffnet, mit dem Graben begann, wusste ich sofort, das dies eine Aufgabe war, die wohl meine gesamte Kraft und Geduld in Anspruch nehmen würde. Der Baum hatte eine Überfülle an feinsten Wurzeln ausgebildet, die jeden Kubikzentimeter des Erdreichs durchzogen. Es war unmöglich mit den Schaufeln zu graben, weil ihnen der Zugang durch eine Phalanx von Kleinwurzeln verwehrt war, die wie eine Steinschicht den Boden überzog. Man musste sich etappenweise mit Messern, Sägen und einer kleinen Gartenschere den Weg freischneiden. In mühevoller Kleinarbeit konnte ich mir so einen schmale Schneise bahnen und so Schicht für Schicht mit dem Handspaten lostrennen. In das Wurzelgeflecht eingebunden waren aber nicht nur Steine jeder Art, sondern auch zahlreiche Blähtonkugeln, die ursprünglich als Drainageschicht vorgesehen waren. Offenbar waren sie durch die unentwegte Wurzeltätigkeit an die Oberfläche gedrängt worden. Die Gartenscheren gingen daran kaputt, die Messer wurden stumpf. Das Geräusch, das sie beim Schneiden erzeugten, war enervierend.
Das Gefühl des Ärgers, hier auf einen „Feind“ getroffen zu sein, der sich meinem gestalterischen Willen mit Vehemenz entgegenstellte, wich, durch die Mühsal der Arbeit bedingt, bald einer fatalistischen Haltung. Die Dinge waren eben wie sie waren und ich würde mich ihnen stellen oder die ganze Aktion abblasen müssen. Ich entschied mich für Ersteres: schnitt, grub, sägte: Stück für Stück, Tiefenschicht für Tiefenschicht, Wurzelgeflecht für Wurzelgeflecht. Zen, oder die Kunst, eine Baumwurzel zu entfernen – so hiess offenbar das Spiel, zu dem ich mich diesen Nachmittag verfügte.
Es war gut, mich nicht mehr meiner Ungeduld aussetzen zu müssen, sondern nur mehr meiner Aufgabe. Ich würde sie erfolgreich bewältigen, und wenn dies die ganze Woche dauern würde. Die Natur hatte sich hier mit aller Macht gegen die Gefangenschaft in einem Gartentrog aufgebäumt und, hätte sie weiterhin Nährstoffe in ausreichender Menge bekommen, dieses wohl auch irgendwann gesprengt. Ein riesiger Wurzelballen lag hier vor mir, nahtlos eingezwängt in das Korsett einer Steintrogs, erratisch, undurchdringlich, endgültig.
Eine Metapher drängte sich auf und wurde auch von meiner Partnerin geäussert. Um das Überleben der Natur in Zeiten wie diesen mache sie sich angesichts einer derart listigen Überlebensstrategie keine Sorgen. Wenn das Anthropozän jemals überwunden werden würde, dann nicht durch den Menschen, sondern durch die entfesselte Natur. Der Mensch würde zwar auf der Strecke bleiben, aber …. Ich konnte dem nur beistimmen. Aber sollte mich das hoffnungsfroh stimmen?
Ursprünglich war der Gartentrog ja folgendermassen aufgebaut gewesen: eine etwa zwanzig Zentieter hohe Schicht Blähton am Boden, welcher der Drainage diente, darüber ein Zentimeter dicker Gewebe, das die Erde von der Drainageschicht trennen sollte. Darüber eine Schicht Humus und dann wieder eine Schicht Gartenerde. Dieser Schichtenaufbau war etwa einen halben Meter hoch. Dieses Raummass von 150 mal 50 mal 50 cm war nun ein undurchdringlicher Wurzeldschungel geworden, kompakt, undurchdringlich, mit kleinen Einschlüssen von Tonkugeln. Wo war die ganze Erde geblieben: ausgewaschen? Geschluckt vom Wurzelmonster, verdrängt ins Nirvana? Der Filzstoff indes hatte sich eben nicht aufgelöst, sondern mit den Wurzelfasern eine undurchdringliche Schicht von hartgummmiartiger Konsistenz gebildet, welcher auch meiner Gartenschere entschiedensten Widerstand entgegensetzte. Mit einem gezackten Messer arbeitete ich mich weiter vor. Es schien, als würden sich Schicht für Schicht neue Problemzonen eröffnen, um meine Gelassenheit, aber auch meine physische Ausdauervermögen auf die Probe zu stellen.
Während ich mich also Schicht für Schicht vorantastete, war an die Entfernung des Baumstumpfes vorerst nicht zu denken. Langsam kämpfte ich mich in die Tiefe, näherte ich mich ihm an, verstaute das gewonnene Material in die bereitgestellten Plastiksäcke. Entsprechende Versuche, den Baumstumpf vorschnell mit physischer Gewalt zu bergen, erwiesen sich als hoffnungslos. Wir würden schneiden müssen, Stück für Stück, Faser für Faser, Gummimatte für Gummimatte. Und so geschah es dann auch.
Es war bereits Abend, als das Werk gelungen war. Im Trog lag nur mehr lockeres Material, das ich am nächsten Tag noch in Abfallsäcke füllen würde. Zu müde war ich, um in Jubelgeschrei auszubrechen, zu demütig, um den Sieg über die Widerständigkeit der Natur zu feiern. Es würde schön sein, den Trog mit neuen Pflanzen besiedeln zu können, dachte ich schwach und verschwand in der Dusche.
Manchmal, denke ich, haben banale Dinge, gar nicht so banale Folgen. Dass ich mich im Falle Baum als geduldiger Mensch erweisen konnte, hatte ich nicht erwartet. Dass ich in einer ausgedehnten Meditation versunken war durch die repetitive Qualität der schweren Arbeit, war erstaunlich. Dass ich damit einen halben Tag verbracht hatte, nahm sich nun, im Rückblick, gar nicht wie Zeitverschwendung aus, sondern eher wie ein grossangelegtes Lehrstück – ein Lehrstück in den kleinen, grossen Dingen des Lebens.
Ein halber Tag ist eigentlich nicht viel.
Ich habe an manche Dinge schon Tage drangehängt, zudem dann auch noch ohne Erfolg.
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Jajaa die Lebensbäume sind nahezu unverwüstlich. Da brauchts schon viel Geduld, wenn man die aus dem Garten haben will. Vor ein paar Jahren musste ich zwei Monsterdinger im Garten ausgraben … und weil die Wurzelansätze so schön waren, hab ich einen Zombie-Hirsch daraus gemacht 😁
Die anderen dicken Stück sind eingelagert – das ist feines Schnitzholz.
Liebe Grüße
Sabine
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Glückwunsch zu so viel Beharrlichkeit.
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Danke schön. 🙂 Ich hätte die Wurzel aber sonst nie rausgekriegt. Leider also keine Beharrlichkeit um ihrer selbst Willen.
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Ich habe im Garten vor Jahren einen Bambus ausgemacht, der angeblich garantiert nicht wucherte; leider wusste der Bambus das nicht. Beim Spalten des Wurzelwerks habe ich einen Axtstiel demoliert. Aber ich habe es geschafft, die Wurzeln zu zerhacken und zu entfernen. Beharrlichkeit – um des Zieles willen, das genügt; um ihrer selbst willen brauchen wir keine Beharrlichkeit, meine ich.
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Wenn du das für dich so siehst, dann soll es für dich wohl so sein.
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