
Gerne öffne ich die Pforten meines Textmuseums: einen virtuellen Ort, welchen ich mit Musse pflege und hin und wieder öffne für all jene, die die Kunst des konzentrierten Lesens und Verstehens noch beherrschen.
Sie lesen hier den Beginn des Romanfragents Ledwina von Annette Droste-Hülshoff. Ich mag es ganz besonders, wie die Zentralfigur bei einem Gang durch die Natur den LeserInnen vorgestellt wird: in aller Zerbrechlichkeit und Zwiespältigkeit, so wie es viele Texte der Droste auszeichnet. Deshalb mag ich ihre Texte so.
Der Strom zog still seinen Weg und konnte keine der Blumen und Zweige auf seinem Spiegel mitnehmen; nur eine Gestalt, wie die einer jungen Silberlinde, schwamm langsam seine Fluten hinauf. Es war das schöne bleiche Bild Ledwinens, die von einem weiten Spaziergange an seinen Ufern heimkehrte. Wenn sie zuweilen halb ermüdet, halb sinkend still stand, dann konnte er keine Strahlen stehlen, auch keine hellen oder milderen Farbenspiele von ihrer jungen Gestalt, denn sie war so farblos wie eine Schneeblume, und selbst ihre lieben Augen waren wie ein paar verblichne Vergißmeinnicht, denen nur Treue geblieben, aber kein Glanz.
Annette von Droste-Hülshoff: Ledwina
»Müde, müde«, sagte sie leise und ließ sich langsam nieder in das hohe, frischgrüne Ufergras, daß es sie nun umstand, wie die grüne Einfassung ein Lilienbeet. Eine angenehme Frische zog durch alle ihre Glieder, daß sie die Augen vor Lust schloß, als ein krampfhafter Schmerz sie auftrieb. Im Nu stand sie aufrecht, die eine Hand fest auf die kranke Brust gepreßt, und schüttelte unwillig ob sich das blonde Haupt, wandte sich rasch wie zum Fortgehn und kehrte dann fast wie trotzend zurück; sie trat dicht an das Ufer und schaute anfangs hell, dann träumend in den Strom.
Textmuseum: 001 Sarah Kirsch 002 Martin Walser 003 Annette Droste-Hülshoff
Schön poetisch 🙂
LikeLike
Finde ich auch!
LikeLike