
Gerne öffne ich die Pforten meines Textmuseums: einen virtuellen Ort, welchen ich mit Musse pflege und hin und wieder öffne für all jene, die die Kunst des konzentrierten Lesens und Verstehens noch beherrschen.
Während Deutschland in Brüche geht, Menschen im Zweiten Weltkrieg sterben und Städte in Schutt und Asche liegen, erfindet Thomas Mann in seinem Roman Dr. Faustus den sgn. „Fiktionsraum Kaisersaschern“, eine Stadt, deren Namen auf eine ehemalige Kaiserstadt verweist. Diese Stadt existiert in Wirklichkeit nicht, sie bleibt dem Wirken seines Helden vorbehalten. Ein erschreckender Ort, in dem im Kleinen wuchert, was im Grossen zur Katastrophe des Nationalsozialismus wurde:
Aber in der Luft war etwas hängengeblieben von der Verfassung des Menschengemütes in den letzten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts, Hysterie des ausgehenden Mittelalters, etwas von latenter seelischer Epidemie: Sonderbar zu sagen von einer verständig-nüchternen modernen Stadt (aber sie war nicht modern, sie war alt, und Alter ist Vergangenheit als Gegenwart, eine von Gegenwart nur überlagerte Vergangenheit) – möge es gewagt klingen, aber man konnte sich denken, daß plötzlich eine Kinderzug-Bewegung, ein Sankt Veitstanz, das visionär-kommunistische Predigen irgend eines »Hänselein« mit Scheiterhaufen der Weltlichkeit, Kreuzwunder-Erscheinungen und mystischem Herumziehen des Volkes hier ausbräche.
Thomas Mann: Dr. Faustus. Fischer Verlag.
Ausstellungsstücke: 001 Sarah Kirsch 002 Martin Walser 003 Annette Droste Hülshoff 004 Sofi Oksanen 005 Thomas Mann 006 Paul Fehm