Es ist schwer, über das Glück zu reden. Schon die Frage, ob der andere denn glücklich sei, ruft Verwunderung, wenn nicht gar Belustigung hervor. Es ist, als müsste man sich dafür schämen, überhaupt den Gedanken ans Glücklichsein zu hegen. Wohlstand, Autonomie, Selbstbestimmung, Erfolg: ja, drüber kann man verhandeln. Glück jedoch, welch peinliches Ansinnen stellt dies dar! Das Glück ist der Wohlstandsgesellschaft auf dem Weg ins 21. Jahrhundert irgendndwann verloren gegangen und zur Peinlichkeit verkommen. Fast scheint es, als handle es sich um eine esoterische Fehlleistung, davon zu sprechen oder sich danach zu sehnen. Wie ein Märchen mutet das Sehnen nach dem Glück an, das man spätestens in der Pubertät wie ein zu lange getragenes Kleidundgsstück ablegt hat. Oder um es im Sinn von Siegmund Freud zu sagen: das Gefühl unbegrenzter Geborgenheit und Einheit erlebt man als „ozeanisches Gefühl“ wohl nur als Fötus, um spätestens bei der Geburt in die gnadenlose Welt entlassen zu werden, die es sich anzueignen gelte. Das Es muss zum Ich werden, lautet die Devise der Tüchtigen.

Im Buch des zum Buddhismus konvertierten Schweizer Naturwissenschafters Matthieu Ricard lese ich eine Bestätigung meiner Beobachtung. Er schreibt:

Wurde das Wort „Glück“ so überstrapaziert, dass die Menschen es inzwischen meiden, angewidert von den Illusionen und Banalitäten, die ihnen dabei in den Sinn kommen? Auch nur über die Suche nach dem Glück zu sprechen, grenzt für manche Leute schon an Geschmacklosigkeit.

Matthieu Ricard: Glück.

Dennoch kann doch niemand von uns leugnen, dass er/sie schon einmal Glück empfunden hat, selten aber doch und wenn auch nur für kurze und flüchtige Augenblicke. Man muss nicht so weit gehen, wie es der Buddhismus tut, Glück als einen Seinszustand zu definieren, als „dauerhaften, keinem Wandel unterworfenen inneren Frieden des Weisen“ (Ricard). Wir begnügen uns an dieser Stelle gerne mit viel weniger, vielleicht weil selbst dieses Wenige nur selten zu erhaschen ist. Wir begnügen uns, das Glück für kurze Zeit wie einen Vogel zu erhaschen, wenn er sich zufällig auf unserer Hand niedergelassen hat.

Gehört das Glück dem Leben, so dem Tod das Vergessen. Glück und Tod scheinen verschiedenen Welten anzugehören und fast schon ein Gegensatzpaar zu bilden. Aber auch über den Tod spricht man nicht, will man nicht die Stimmung verderben. Wie aber können Glück und Tod zusammengehen, eine harmonische Einheit bilden, die sich zu ergänzen weiss? Davon will ich an dieser Stelle erzählen.

Vor wenigen Tagen waren wir auf der Suche nach einigen Steinzeitgräbern in der Nähe des Muddus Nationalparks. Wir gingen in den sonnenüberfluteten Herbsttag hinein und verfolgten einen kleinen Pfad, der an die Spitze einer kleinen aber langgestreckten Halbinsel führte. Vor etwa 7000 Jahren sollten dort Menschen gelebt haben: aufgrund der damals herrschenden Kälteperiode hätten sich dieses Stück Land in der Nähe der Mündung des Flusses in das Meer befunden, die damals dort lebenden Menschen waren saisonal überwiegend mit dem Lachsfang Menschen befasst gewesen. Die Hinweistafel belehrt uns, dass zwischen dem Leben und dem Tod nicht jene Separierung gegeben hätte, wie sie gegenwärtig üblich sei. Gleich neben den Feuerstellen des Lebens hätten sich die Gräber befunden, denen wir uns an jenem schönen Herbstnachmittag auf gewundenen Pfaden nähern. Von der sogenannten Norbottischen Kulturgruppe ist die Rede, die als Steinzeit parallel zur südschwedischen Bronzezeit existiert hatte.

Das Grab ist wenig spektakulär: ein undeutlicher Ring aus Steinen, den ich ohne entsprechende Hinweise wahrscheinlich übersehen hätte. Doch auch jetzt entzieht sich die Stelle einer genauen Umgrenzung, eingebettet liegt sie zwischen den anderen von Moos und Heidekraut überzogenen Steinen ganz nahe zum heutigen Ufer des Luleälven. Rauschen ist vernehmbar, von einem Zufluss der wenig oberhalb des Grabes am gegenüberliegenden Flussufer mündet. Die Stille, die von einem Grab wohl immer ausgeht, umfängt mich. Ich setze mich in unmittelbarer Nähe ans Flussufer und spüre den nahen Tod wie eine manieristische Spielerei. Eine Frau sei hier begraben, wie man aufgrund der Grabbeigaben vermutet. Sie liegt also neben mir, wurde auch von den Archäologien nie ausgegraben, sie hatten dort nur Probegrabungen unternommen haben. Ocker sei das Zeichen für eine Grabstelle. Nahezu unberührt erscheint daher der Ort: ich kann die Frau, die wahrscheinlich in ihr Gewand gehüllt war spüren: als leichten, schwebenden Trost und behutsame Anmutung. Der Tod wird zum sanften Trost. So, als wäre Sie eine alte Bekannte, deren Grab ich soeben besuchte, liegt sie neben mir. Doch noch suche ich meinen Platz.

Ein wenig oberhalb des Grabes finde ich ihn dann. In einer Mulde am Weg, die von Kiefernnadeln und Heidekraut bedeckt ist und die sich in der Sonne aufgewärmt hat, sodass es sich gut und wohlig ruhen lässt. Ich komme ich zum Liegen, den Kopf auf einen Beutel gebettet. Ich liege auf der Seite, ein wenig zusammengekauert und blicke auf die Wurzeln der mich umgebenden Baumwurzeln. In meinem Rücken gluckert der Fluss. Es ist windstill. Und da ist es auf einmal: ein warmes Glücksgefühl durchströmt mich, nichts trübt meine Sinne, nichts verdunkelt den Blick. Alle Konflikte sind von mir abgefallen. Und mitten hinein in dieses Wohlgefühl sehe ich mit einem Male meinen eigenen Tod, der mir irgendwann in aller Endgültigkeit begegnen wird. Es wäre schön, wenn er hier geschähe oder zumindest meine Asche hier verstreut würde. Hier, neben meiner neuen Bekannten, die vor rund 7000 Jahren von ihren Gefährten zur Ruhe gebettet wurde.