Die Kleidung des Parfumeurs, 1695, Wikimedia Commons

[Pegasus Projekt: Pegasi Gamma – Algenib]

Zum Erforschung Mostindiens gehört natürlich auch der Einsatz des Geruchssinnes. Lehrt uns doch der „Blick“ in die Literatur, dass die olfaktorische Wahrnehmung nicht zu unterschätzen sei, dass Gerüche aus der Kindheit einen prägenden Einfluss auf uns haben, dass mit einem bestimmten Kindheitsgeruch immer auch „Heimat“ assoziiert wird. Behauptet wird jedenfalls, dass die Macht des Geruchssinns allgemein unterschätzt werde.

Wie also riecht Mostindien? Hat der Thurgau einen speziellen Geruch? Und was riecht der Eingeborene und was der Fremde in diesen Gefielden? Amtlich zuständig wäre das Umweltamt für den Kanton Thurgau, das sich aber im Wesentlichen nur mit der Vermeidung von unangenehmen Gerüchen beschäftigt und diese zu unterbinden sucht: Luftreinhalte-Verordnungen, übermassige Emissionen und Gerüche aus der Landwirtschaft sind ihr Geschäft. Doch wir wollen hier ja nichts vermeiden an Gerüchen, sondern der Realität ihrer Produktion und Verbreitung auf die Spur kommen, mögen sie uns angenehm oder peinlich berühren. Riecht es in Mostindien vielleicht anders als im hunderten Luftkilometer entfernten Niederösterreich? Mehr nach Rohmilch-Käse etwa oder mehr nach Mostäpfeln und -birnen, insbesondere in Zeiten ihrer Pressung? Riecht es in der Schweiz möglicherweise „sauberer“ als im benachbarten Österreich, angesichts des peniblen Reinheitsethos eidgenössischer Haushalte? Wir sehen, dass die Sache so einfach nicht ist und die Argumentation sehr rasch ins Lächerliche abgleitet.

Vielleicht kann da Hilfe aus Wien kommen. Die Stadtzeitung Der Falter befragt seit einiger Zeit in seinem morgendlichen Newsletter WienerInnen über ihre Eindrücke von der Stadt und fordert sie auf, ihre olfaktorischen Erfahrungen zu beschreiben. Wie riecht und schmeckt Wien eigentlich? Hier seien einige Antworten angeführt, die zeigen, wohin derartiges Vorgehen führen kann. Für Herrn Hermann stellt sich der Geruch Wiens so dar: „Im Herbst/Winter nach Hopfen von der Ottakringer Brauerei und im Frühjahr/Sommer nach Manner – eigentlich eh fein.“ Frau Valentina meint hingegen: „Nach weichem Ei und Schnittlauchbrot und Kaffee und Mohnnudeln und Wein und Bier und Gulasch und Kebab und Lindenblüten und nassem Pflaster und staubigem Asphalt und Rindenmulch und und und … “ Frau Magdalena hält sich kurz: „Nach Flieder, Friedhof und Fritteuse.“ Allen mag ich als gebürtiger Wiener durchaus beipflichten. Wien, meine Heimatstadt, riecht gut oder zumindest vertraut, nur stinkt sie eben auch zum Himmel: etwa entlang des von Fahrzeugabgasen verseuchten Wiener Gürtels oder in den Hinterhöfen der Fressmeilen unserer Einkaufszentren. Es wird ersichtlich, in welcher Art und Weise Einwohner ihren Wohnort zu beschreiben vermögen: subjektiv und in Vergleichen. Die Meisten vermeiden die Nennung der schlechten Gerüche. Sie enttarnen uns als das, was wir auch sind: körperliche Wesen mit all ihren notwendigen Funktionen.

Geruch wird wohl immer subjektiv empfunden und sperrt sich weitgehend gegen Verallgemeinerungen. Geruchsbewertung kann daher nicht verbindlich gemacht werden, ausser der Geruch überschreitet eine gewisse Quantität. An einer Zwiebel gerochen, weiss man mit Sicherheit, das die Knolle nach Zwiebel riecht. Trotzdem: Sollte ich auf meinen Wanderungen für einige Minuten die Augen schliessen und mich auf die Gerüche Mostindiens konzentrieren? Was käme da heraus? Wären meine Eindrucke eigentlich repräsentativ für ein charakteristisches Geruchsbild Mostindiens? Und was gibt es da? Den strengen Geruch von Kochbutter beim Braten, die weitgehende Absenz von Smog und Abgasen, den intensiven Geruch von Schabziger Käse, ausgebrachter Dung auf den Feldern, schwüler Geruch vom Bodensee Geruch von Schnee, die Dämpfe der Heutrocknungsanlage, verwesende Kadaver im Wald Was wird mir auf den Wanderungen im Reich des Pegasus noch begegnen und was ist so neu und spezifisch daran, dass ich es in meiner Wahrnehmung hinzufügen will? Wie wird mein Geruchsrepertoire erweitert werden? Darüber wollte ich eigentlich schreiben.

Vielleicht sollte man weg von emotionalen Beschreibungen und hin zu wissenschaftlichen Methoden der Geruchskategorisierung? Wäre das die Lösung? Tatsächlich können ausgebildete Gutachter in einer Art beschreibenden Analyse die Qualität und Quantität eines Geruches feststellen und anhand einer speziell für diese Zwecke entwickelten Tafel („Descriptor Wheel“) beschreiben. Das ist weder Jux noch Tollerei, denn die Nahrungsmittel- und Getränkeindustrie bedient sich zur Steigerung der Verkaufszahlen seit über 70 Jahren derartiger Methoden. Der Angriff tollwütig gewordener Verkaufsstrategen auf unser aller Sinne hat schon längst die Nase entdeckt. Beduftetes Brot, streng riechendes Katzenfutter oder Wunder-Baum „Lufterfrischer“: alles nichts Neues. Ganz zu schweigen von der Kosmetikindustrie. Insbesondere die Parfümerzeuger sind auf ausgebildete Nasen angewiesen, was wir spätestens seit dem 1985 erschienenen Buch von Patrick Süsskind („Das Parfum“) wissen. State of the Art der Geruchsforschung ist dabei laut Notes from the Lab das St. Croix Sensory Descriptor Wheel, das 8 Hauptgeruchskategorien in weitere 22 Schattierungen aufspaltet. Da können durchaus Mischgerüche entstehen, deren einzelnen Bestandteile prozentuell bestimmt und zu Geruchsprofilen zusammengesetzt werden können. Doch hilft uns das weiter, wenn wir Mostindien geruchlich näher kommen wollen?

Und dann taucht noch ein weiteres Problem auf. Nicht nur dass die Geruchsempfindung sich im Laufe der Geschichte stark verändert hat: Wer möchte sich schon heute den Gerüchen einer millelalterlichen Stadt aussetzen wollen? Gerüche und deren Wahrnehmung unterliegen historisch bedingten Veränderungen. Es gibt auch viel zu retten an den „alten“ Gerüchen, die immer mehr künstlich verändert werden. Da wundert es nicht, dass sich ein von der Europäischen Union finanziertes Projekt mit Namen Odeuropa sich dem kulturellen Erbe von Gerüchen widmet. Die norwegische Künstlerin Sissel Toolas, die sich seit Jahren mit dem Thema beschäftigt, meint daher zu Recht:

Most of what we smell in the western world is cover-up or artificial /fresh/ scents: a deodorisation or sanitisation of long-forgotten markers, an erasure of the sense of place that smells can convey alongside the visual and aural. Not only have natural scents been overpowered by what industry deems clean and acceptable, but we’ve essentially become olfactory illiterates … to somewhat mix a metaphor.

Sissel Tolaas in The Nomad Magazine

Zu Geruchsanalphabeten sind wir demnach im Laufe der jüngeren Geschichte geworden und unseres ursprünglichen Geruchsrepertoires beraubt, verstopft sich unsere Nase mit dem vermeintlichen Wohlgerüchen einer sterilen Welt. Gerüche werden domestfiziert, verdrängt, entrechtet. Vor den meisten elementaren Düften ekelt uns. „Alte“ Gerüche sind kolonisiert worden. Das alles hat natürlich auch seine Auswirkung auf das Projekt Mostindien. Nur wenig Ursprüngliches werden wir erwarten können und eine Duftwolke aus dem Drogeriemarkt wird uns auf unserem Körper bei unseren Expeditionen begleiten.

Das Projekt Geruch in Mostindien wird scheitern, es sei denn, man könnte die Herkulesarbeit bewältigen, den Geruch Thurgaus aus vielen Einzelgerüchen zusammenzusetzen und zu synthetisieren. Diese monströse Matrix aus den Gerüchen seiner Gegenstände, Orte und Lebewesen müssten kategorisiert, zeitlich verortet und in ein Kunstprojekt verpackt werden. Doch das überfordert den einsamen Wanderer, der doch alle seine Sinne nutzen muss, um diese Landschaft einzufangen.

Bleiben wir lieber bei den singulären Erfahrungen in Mostindien und schnüffeln den Dingen und Lebewesen hinterher: wissenschaftlich oder intuitiv, je nach Laune und Vermögen. Ich habe mich dieser Nagelprobe schon behutsam unterzogen und mich meiner vor kurzem gefundenen Tannenmistel olfaktorisch genähert. Und es machte auch viel Sinn. Doch davon soll schon bald an anderer Stelle die Rede sein.

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